Zusammenfassung – Seminar „Doch kein reines Gewissen? Lieferketten im Visier“

Bericht über das Schwerpunktseminar am 12. Dezember 2023: „Doch kein reines Gewissen? Lieferketten im Visier“, in der Fotogalerie OÖ im OÖ-Kulturquartier.

Am 12. Dezember 2023 fand in den Räumlichkeiten des OÖ-Kulturquartiers in Linz das letzte Seminar im Rahmen des Dialogprojekts „Begegnung Südliches Afrika. Arbeit und Leben global gedacht“ statt. Am Beginn begrüßte Maria Kirchner das zahlreich erschienene Publikum und sprach einige einleitende Worte. Als erster Programmpunkt folgte ein Vortrag zum Thema „Doch kein reines Gewissen? – Lieferketten im Visier“ von Jakob Krameritsch, Historiker an der Akademie der bildenden Künste Wien. In diesem Input beleuchtete er Aspekte globaler Rohstofflieferketten am Fallbeispiel Platin aus Südafrika. Im Anschluss führte Maria Kirchner als Kuratorin das interessierte Publikum in einem Rundgang durch die Fotoausstellung „Südafrika free.image“.

Chrome/Platinum Mine im Nordosten Südafrikas (c) Sunshine Seeds

Am Beginn der Lieferkette – Das Massaker von Marikana und die Realitäten südafrikanischer Minenarbeiter:innen
Wie schaut es am Beginn von Lieferketten aus? Wo kommen unsere Rohstoffe her? Auf welchen Arbeitsbedingungen basieren unsere Produkte? Diese Leitfragen bildeten den Rahmen des Vortrags von Jakob Krameritsch. Er berichtete über ein konkretes Beispiel für eine Lieferkette metallischer Rohstoffe, nämlich den Abbau von Platin im sogenannten Platinum Belt in Südafrika, einem der weltweiten Hauptabbaugebiete dieses wertvollen Metalls. Als Ausgangspunkt diente eine Fotographie des südafrikanischen Fotographen Greg Marinovich. Sie zeigt streikende Minenarbeiter:innen der Lonmin Platinum Mine (London Mining; damals eines der größten Unternehmen im Platin-Abbau weltweit) auf einem Hügel in Marikana, nordwestlich von Johannesburg, aufgenommen am 15. August 2012. Sie streikten für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, denn die Realitäten dieser Menschen am Anfang der Lieferkette sind düster: Die Arbeiter:innen leben in Wellblechhütten ohne Zugang zu fließendem Wasser, öffentlicher Infrastruktur oder Services wie etwa Müllabfuhr. Aufgrund unzureichender Belüftungsanlagen in 700 bis 1000 Metern Abbautiefe, stirbt ein Drittel der Arbeiter:innen frühzeitig an Silikosis, einer spezifischen Form der Tuberkulose. Korruption und ein schwacher Staat verhinderten die Durchsetzung grundsätzlich vorhandener strengerer Vorgaben. Der Streik für die Verbesserung dieser Verhältnisse war selbstorganisiert, da das Vertrauen in die Gewerkschaften seitens der Arbeiter*innenschaft nicht gegeben war, da sie diese als korrumpiert ansahen. Ihre Forderung war ein direkter Austausch mit dem Minenunternehmen, was von diesem aber abgelehnt wurde. 

(c) Greg Marinovich

Einen Tag nach der Aufnahme des Fotos kam es am 16. August zum Massaker von
Marikana, in dessen Verlauf insgesamt 34 Minenarbeiter von der Polizei erschossen wurden. Krameritsch betonte, dass es nicht den einen Grund oder Auslöser für dieses Ereignis gab, sondern vielmehr viele Faktoren auf verschiedenen Ebenen eine Rolle spielten. Die Kontinuität von Polizeigewalt aus der Zeit der Apartheid stellt eine dieser Ebenen dar. So wurden etwa größtenteils Waffen verwendet, deren Gebrauch auf jeden Fall den Tod der Getroffenen bedeutet. Ein weiterer Faktor besteht in der geringen Wertigkeit des Lebens billiger Schwarzer Arbeitskräfte, ebenfalls eine kontinuierte Realität der Apartheid. 

Im Nachgang des Massakers wurde medial und öffentlich allzu häufig das Narrativ der Polizei aufgegriffen, wonach sich diese lediglich selbst verteidigt habe. Erst nach und nach wurde dieses durch engagierte Arbeit einiger Akteur:innen aufgebrochen und die Hintergründe offiziell im Rahmen einer Kommission untersucht. So kam beispielsweise heraus, dass die meisten der Getöteten durch Schüsse in den Rücken starben. 

Witwe eines Minenarbeiters bereitet sich auf eine Demonstration vor, die an das Marikana Massaker erinnert (c) Helena Hornung

BASF – „Social und Supply Chain Responsibility” – konstruierte Realitäten am Ende der Lieferkette
Das deutsche Chemieunternehmen BASF war zum Zeitpunkt des Massakers einer der Hauptkunden der Mine in Marikana. Den Rohstoff benötigt das Unternehmen für die Herstellung von Katalysatoren für Fahrzeuge, deren weltgrößter Hersteller es ist. BASF ist damit auch der weltgrößte Platin-Konsument und mächtiger Akteur im Geschäft mit diesem Rohstoff. 2012 kaufte der Konzern täglich Platin im Wert von zwei Millionen Euro von der Mine in Marikana.

Im Mission Statement von BASF ist soziale Verantwortung (Social Responsibility) integraler Bestandteil und auch für Lieferketten-Verantwortung (Supply Chain Responsibility) wurden dem Unternehmen bereits Preise der Industrie verliehen. Im Rahmen dieser wird den Kund:innen garantiert, dass nicht nur BASF selbst, sondern auch die Zulieferer Kriterien einhalten: Menschenrechte, Arbeitsrechte, soziale Rechte und Umweltschutz. Die Diskrepanzen zwischen der Realität am Anfang der Lieferkette und der kommunizierten Nachhaltigkeit an deren Ende, fasste Krameritsch pointiert in eine Frage: Wie kann es sein, dass die Menschen, die die Rohstoffe für so ein vorgeblich sozial verantwortliches und nachhaltiges Unternehmen aus dem Boden holen, in Slums leben müssen und im Rahme 
eines Streiks von der Polizei erschossen werden?

Minenarbeiter in einer Rustenburg Mine (c)Wirestock inc.
BASF in Ludwigshafen, Deutschland (c) Firn

Rechtlich gesehen gab es keine Handhabe, um BASF in Deutschland oder der EU zur Verantwortung zu ziehen. Das ändert sich nun graduell: Das deutsche Lieferkettengesetz ist bereits in Kraft und auch das Europäische Lieferkettengesetz steht in den Startlöchern, doch es wird schwierig bleiben, Konzerne tatsächlich zur Verantwortung zu ziehen, insbesondere vom anderen Ende der Lieferkette aus. Krameritsch betonte, dass es jedenfalls nützlich sei, gegen die konstruierten Realitäten anzukämpfen. Ein Akteur*innen-Netzwerk, dem er angehört, konfrontierte BASF mit der tatsächlichen Realität und den Diskrepanzen zwischen dieser und der kommunizierten des Unternehmens. Seit 2014 werden durch sie jährlich Repräsentant:innen Marikanas nach Deutschland zur Aktionärsversammlung des
Unternehmens eingeladen, um dort zu sprechen. Auf diese Weise bekommt das Thema die notwendige Öffentlichkeit und drängt dazu, dass man sich auch am Ende der Lieferkette mit den Realitäten an ihrem Beginn auseinandersetzen muss.


Fotoausstellung “Südafrika free.image”
Im Anschluss an den Vortrag von Jakob Krameritsch wurden einige Aspekte mit dem anwesenden Publikum intensiv diskutiert. Einen visuell anregenden Ausklang fand die Veranstaltung sodann im Rahmen des Rundganges durch die Ausstellung „Südafrika free.image“ in der die Lebens- und Alltagswelten des heutigen Südafrika aus Sicht der Fotograph:innen Ruth Seopedi Motau, Andy Mkosi und Armand Hough, die in Südafrika leben, sowie aus Sicht der Reisenden Maria Kirchner dargestellt werden.

(c) Helena Hornung
(c) Helena Hornung


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