1. Februar 2003

Friedensnobelpreisträger Erzbischof Tutu gegen „unmoralischen“ Irak-Krieg

Desmond Mpilo Tutu hat die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts nicht aufgegeben. In einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" glaubt der 71 Jahre alte anglikanische südafrikanische Erzbischof, der 1984 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, dass ein Krieg die Lage in den armen Ländern Afrikas weiter verschlechtern wird. Mit Tutu, der sich momentan in den USA aufhält, sprach FR-Korrespondent Johannes Dieterich.

FR: Erzbischof, ist der Krieg am Golf unvermeidbar?

Desmond Tutu: Mich interessiert zunächst einmal nicht die Frage, ob ein solcher Krieg unvermeidbar, sondern ob er gerechtfertigt ist. Und wenn Sie sich die Reaktionen der deutschen, der französischen und vieler anderer Regierungen dieser Welt anschauen: Die sagen alle: Nein. Der Krieg ist nicht gerechtfertigt. Lasst uns wenigstens den Inspektoren der UN noch mehr Zeit einräumen. Ich verstehe wirklich nicht, warum es die Vereinigten Staaten sind, die allein entscheiden. Das gehört doch in den Verantwortungsbereich der Vereinten Nationen und nicht der USA. Die UN haben die Inspektoren geschickt. Sie müssen entscheiden, ob es nun Zeit ist, gegen Saddam Hussein militärisch vorzugehen.

FR: Saddam Hussein ist ein brutaler Diktator. Wie sollte die internationale Gemeinschaft denn mit so jemandem umgehen?

Erstens leidet immer die Bevölkerung am meisten unter einem Krieg, nicht der Diktator. Und außerdem: Warum sollte Diktator Saddam Hussein mit einem Krieg gestürzt werden, während andere Diktatoren wie etwa die Generäle in Birma ungeschoren bleiben?

FR: Die haben wenigstens keine Massenvernichtungswaffen.

Indien hat auch Massenvernichtungswaffen, genau wie Pakistan oder Nordkorea. Warum wollen die USA im Fall Nordkorea mit diplomatischen Druck agieren, im Fall Irak aber in den Krieg ziehen?

FR: Was sind denn Ihrer Meinung nach die wirklichen Motive hinter George W. Bushs Irak-Politik?

Das würde ich sehr gerne wissen. Es gibt Leute, die meinen, dass das Öl dahinter steht. Oder ein Manöver, um von dem doch enttäuschenden Zustand der US-Ökonomie abzulenken. Und denken Sie nur daran: Die Wirtschaftsskandale um die Unternehmen Enron oder Worldcom sind inzwischen völlig vergessen. Können Sie sich vorstellen, was passiert wäre, wenn solche Skandale woanders, etwa in der Dritten Welt, passiert wären? Da würde heute noch dauernd darüber berichtet. Hier aber sind sie erfolgreich in die Vergessenheit geschoben worden.

FR: Was hält man in Afrika von Bushs Irak-Politik?

Es gibt wohl kaum jemanden auf dem Kontinent, der diese Politik unterstützt. Die meisten sehen sie als ein weiteres krasses Beispiel für den Unilateralismus der Supermacht. Das Unbehagen daran, dass die USA über den Lauf der Welt alleine bestimmen wollen, wächst in vielen Teilen der Welt, nicht nur in Afrika, auch in Deutschland oder Frankreich.

FR: Ist dieses Unbehagen ermutigend oder eher beängstigend, da es wieder eine globale Polarisierung wie zu Zeiten des Kalten Kriegs auslösen könnte?

Zunächst waren sich ja auch die USA im Klaren darüber, dass sie den Krieg gegen den Terror nicht alleine führen können, und haben deshalb versucht, andere Länder auf ihre Seite zu ziehen. Selbst die Mächtigsten können nicht alleine mit den Weltproblemen fertig werden. Ich glaube, dass Gott uns gegenwärtig sagen will: Ihr Menschen seid eine Familie! Wir können nicht so weitermachen, dass ein Teil der Familie in großem Wohlstand und der andere Teil in absoluter Armut und Verzweiflung lebt. Diese Ungleichheit im Reichtum, in der Bildung, in der Gesundheitsversorgung sind schließlich die Ursachen für die Destabilisierung der Welt.

FR: Welche Auswirkung wird denn der Irak-Krieg auf die Länder Afrikas haben?

Jetzt tun Sie schon so, als ob der Krieg gar nicht mehr abzuwenden sei. Falls es wirklich dazu kommen sollte, dann bedeutet das natürlich, dass wieder einmal Ressourcen von denjenigen abgezogen werden, die sie am meisten nötig haben. Mittel, die man für die Armutsbekämpfung, die Bildung und die Gesundheitsvorsorge dringend braucht, werden in Destruktion und massenhaften Tod investiert. Die Länder Afrikas werden dann noch weiter von der politischen Landkarte geschoben, während Menschen in Europa und den USA fasziniert an den Fernsehschirmen den Abwurf intelligenter Bomben und den Mord von Müttern und ihren Kindern verfolgen.

FR: Das klingt verbittert.

Nein, ich bin nicht verbittert. Aber wenn wir einen Krieg führen, müssen wir daran denken, dass wir nicht gegen Zahlen kämpfen. Es sind Menschen, die sterben werden. Man wird das dann wieder als "Kollateralschäden" bezeichnen. Aber das sind Menschen von Fleisch und Blut, Väter, Mütter und Kinder. Wir können deren Tod nicht auf diese schrecklich ruhige Weise anordnen, als ob wir Frühstück bestellen würden.

FR: US-Präsident Bush scheint längst auf keine anderen Stimmen mehr zu hören. Was können Kriegsgegner denn noch tun? Beten? Auf die Straße gehen ?

Die Leute gehen ja auf die Straße, auch in den Vereinigten Staaten selbst. In Washington haben immerhin eine halbe Million Menschen demonstriert. Bush weiß sehr wohl, dass er selbst zu Hause mit seiner Überzeugungsarbeit nicht weit gekommen ist. Seine Popularitätskurve sinkt. Die Mehrheit der Amerikaner glaubt nicht wirklich, dass ein Krieg unvermeidlich ist. Wenn die US-Regierung nur einen Bruchteil des Engagements und des Durchsetzungswillen für die Bekämpfung der Armut in der Welt zeigen würde, wie sie sie in der Vorbereitung dieses Krieges an den Tag legt: Können Sie sich vorstellen, was für eine wunderbare Welt wir haben würden?

FR: Sie halten sich gegenwärtig für mehrere Monate zu einem Studienaufenthalt in den USA auf. Wie erleben Sie das Land?

Wie gesagt: Viele Amerikaner stehen ja gar nicht hinter Bush. Und was ich den Menschen hier zu sagen versuche, ist: Schaut, Ihr habt einen wunderbaren Ruf! Ihr seid dafür bekannt, dass Ihr Euch um andere kümmern, dass Ihr großzügig sein könnt. Ihr habt uns in unserem Kampf gegen die Apartheid in Südafrika fantastisch unterstützt. Ihr habt uns dabei geholfen, uns zu befreien: Macht diesen Ruf jetzt nicht kaputt, indem Ihr einen völlig unnötigen Krieg anzettelt, einen unmoralischen Krieg.

FR: Warum gibt es eigentlich keine gemeinsame Anti-Kriegs-Initiative aller Friedensnobelpreisträger?

Wir sind wohl alle in dieser oder jener Weise damit beschäftigt, diesen Krieg noch zu verhindern. Ich gehe davon aus, dass alle Friedensnobelpreisträger dieses Ziel im Auge haben. Aber Sie haben Recht: Eine koordinierte Initiative gibt es nicht. (Frankfurter Rundschau)

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