Leseprobe INDABA 29/01

Spuren des Regenbogens – Tracing the Rainbow

“Wie kann man, behindert durch die Erfahrungen der Vergangenheit und die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft die Gegenwart betrachten?”

Diese von Okwui Enwezor formulierte Frage besitzt für das südliche Afrika höchste Brisanz. Dort, wo die aktuellen Lebenswirklichkeiten geprägt sind von Schuld und Schmerz, von Versöhnung und Unversöhnlichkeit, von Vergebung und Vergeblichkeit, von kollektivem Wissen und kollektiver Trauer, hat es der Regenbogen als Symbol, als Appell, als Mahnung für ein friedliches Neben- und Miteinander von schwarz und weiß nicht leicht. Zu viel Unaufgearbeitetes, zuviel Ungerechtes, zu viele Enttäuschungen, zuviele Ängste beherrschen die Gegenwart. Die Anhörungen der Wahrheitskommission verstärkten vielfach den Kummer. Nelson Mandelas und Desmond Tutus Vision von der “Rainbow Nation”, worin schwarz und weiß keine Rassen sondern lediglich Farben sind, wird daher oft als naiv und verlogen empfunden. Doch anstatt Resignation sind Visionen angesagt für eine Gesellschaft, in denen nicht mehr die Hautfarbe das Leben, die Liebe, die Ausbildung und die Parkbankbenutzung bestimmen soll.

In “Spuren des Regenbogens” wird das Schlagwort von der “Rainbow-Nation” auf das gesamte südliche Afrika ausgedehnt. Diese Region teilt nicht nur viele historische Erfahrungen wie europäische Besiedelung, massive Bevölkerungsbewegungen in den letzten Jahrhunderten und die Herrschaft einer weißen Minderheit über eine schwarze Mehrheit, sondern auch viele aktuelle Herausforderungen: Das unmittelbare Nebeneinander von High-Tech und Leben ohne Elektrizität, Wolkenkratzer und Slums, Ausgrenzung und Integration, Rassismus und “One Nation”, Globalisierung und Regionalismus.

Die grundlegenden Veränderungen und die dramatischen gesellschaftlichen Umwälzungen, die zur Auflösung zahlreicher gewohnter Raster führen, sorgen jedoch keineswegs nur für Entmutigung, sondern vielfach auch zu Aufbruchstimmung.

“Spuren des Regenbogens” greift aktuelle Diskurse im südlichen Afrika auf und wirft Schlaglichter auf sie. Einen Schwerpunkt bildet das Suchen - nach Wahrheit, nach Schuldigen, nach Gerechtigkeit, und vor allem nach Identität. Viele Werke in Ausstellung und Katalog haben mit Fragen zu tun wie: Wer sind wir? Woher kommen und wohin gehen wir? Wie wollen wir wahrgenommen werden? Wie haben wir zu sein? Und schließlich: Wie leben wir das alles im konkreten Alltag?

Die schwarze Bevölkerungsmehrheit steht dabei im Zentrum. Zwar suchen auch die weißen und asiatisch-stämmigen Südafrikaner nach Identität. Verdrängt und verunglimpft wurden aber vor allem schwarze Vergangenheit, Traditionen und Leistungen.

Die politischen Umwälzungen im südlichen Afrika schlagen sich auch in der Suche nach einer neuen Kunstgeschichte nieder. Denn auch die dortigen Kunstgalerien trugen den Stempel des weißen Kolonialismus. So sammelte etwa die berühmte, im Jahre 1915 gegründete “Johannesburg Art Gallery” lange Zeit ausschließlich französische und englische Kunst. Ab 1940 wurden zudem Werke von Holländern und weißen Südafrikanern angekauft. Aber erst seit 1980 wurde Kunst von schwarzen Künstlern gesammelt. Bis dahin wurde auch Kunst dazu mißbraucht, Schwarze auszugrenzen, und dadurch zu zeigen, daß Schwarze eben keine Kunst schaffen konnten.

In “Spuren des Regenbogens” wird daher die gegenwärtig in immer mehr Kunstmuseen vor allem in der Republik Südafrika verfolgte Tendenz aufgegriffen, die Werke international renommierter akademisch-westlich geschulter (weißer und schwarzer) Künstler neben die Meisterwerke sogenannter traditioneller schwarzer KünstlerInnen zu stellen. Durch das Nebeneinander von Werken westlich geprägter urbaner und ländlicher “traditioneller” Kunst sollen Hierarchien zwischen den Menschen abgebaut und den kulturellen und künstlerischen Leistungen der schwarzen Bevölkerungsmehrheit die ihnen lange vorenthaltene Würdigung entgegengebracht werden. Zwar treffen dadurch unterschiedlichste künstlerische Strategien und Referenzsysteme aufeinander. Aber auch, wenn die schwarzen KünstlerInnen nicht vor dem Hintergrund eines westlichen Kunst- und Selbstverständnisses gearbeitet haben und uns meist ihre Namen nicht überliefert sind, zeigt sich in ihren Werken ihre außergewöhnliche künstlerische Sensibilität und ihr überragendes Formengefühl wie auch ihre individuelle Meisterschaft.

Auch in westlichen Museen und Sammlungen wurden die skulpturalen und plastischen Traditionen des schwarzen südlichen Afrika fast einhundert Jahre lang bei der Betrachtung afrikanischer Kunst ausgespart. Noch an der Schwelle zum 3. Jahrtausend behaupten manche Kunsthistoriker, daß es in dieser Region im Gegensatz zu anderen Teilen des Kontinents keine Kunst gegeben habe. Entsprechend ist in den allermeisten Ausstellungen und Katalogen über afrikanische Kunst das südliche Afrika nur äußerst spärlich vertreten. Da vornehmlich Masken und figurale Plastik als “hohe Kunst” begriffen wurden, fehlte für andere ästhetische Qualitäten die notwendige Offenheit. Objekte wie Melkeimer, Biertöpfe oder Perlenarbeiten wurden bestenfalls als “dekorative Kunst” betrachtet. Erst eine Erweiterung des Kunstbegriffs und eine vermehrte Aufmerksamkeit für “die Form an sich”, verbunden mit dem Ende der internationalen kulturellen Isolation des Südlichen Afrika, öffneten vielen westlichen Liebhabern und Fachleuten afrikanischer Kunst die Augen. Und allmählich wird auch einer breiteren Öffentlichkeit offenkundig, was schwarze Bewohner des südlichen Afrika an künstlerischer Ausdruckskraft und Mannigfaltigkeit hervorgebracht haben.

Die Ausstellung ist daher auch jenen “traditionellen” Objekten aus dem Südlichen Afrika gewidmet, die lange Zeit nicht gewürdigt werden durften und konnten.

Das Um- und Neuschreiben von verleugneter Geschichte ist ein überaus wichtiger Teil der Identitätssuche im südlichen Afrika. Jahrzehntelang durfte die offizielle Historie erst mit den Europäern beginnen. Die Bedeutung etwa der Ruinen von Great Zimbabwe wurde von den Weißen lange geleugnet und verheimlicht. Erst in den letzten Jahren deckt das Umdenken in Wissenschaft und Öffentlichkeit völlig neue historische Zusammenhänge auf.

Beständigkeit im Wandel charakterisiert die Region. Verschiedenste Traditionen verschmolzen, befruchteten sich, entwickelten sich aufeinander zu oder auseinander. Dies zeigt sich selbst in Phänomenen, die heute nach innen oder außen identitätsstiftend wirken. Gerade diese sind oft nicht besonders alt – man denke nur an viele Formen von Perlenarbeiten oder Wandmalereien. Zudem entstammen auch sie nicht nur dem überschaubaren Fundus der eigenen Traditionen, sondern integrierten Anregungen von außen aus der jeweiligen Zeit. Entsprechend nutzen viele zeitgenössische weiße wie schwarze Künstler aus dem südlichen Afrika den heute immens erweiterten Horizont und nehmen eine führende Rolle nicht nur in klassischen Gattungen wie Bildhauerei und Malerei ein, sondern auch in jüngeren Disziplinen wie Fotografie, Film, Video und Installation.

Durch “Spuren des Regenbogens” soll der europäische Zugang auf das südliche Afrika, das hier vor allem als Tier- und Naturparadies bekannt ist, erweitert werden. Entgegen dem ungetrübten “Safari-Blick” auf Naturräume wurde die Region als Kulturraum seit Jahrtausenden von Menschen in maßgeblicher Weise mitgeformt. Diese Sicht zollt zudem dem Umstand Rechung, daß die Nationalparks zusehends in Landrechtsfragen einheimischer Bevölkerungsgruppen verwickelt sind.

Wenngleich interne Diskurse aufgegriffen werden, soll “Spuren des Regenbogens” kein Selbstbild südafrikanischen Lebens und und dortiger Kunst sein. Vielmehr werden Schlaglichter auf Aspekte geworfen, die durch die jahrzehntelange Isolation des südlichen Afrika und den Kulturboykott der restlichen Welt vielfach verborgen geblieben sind.

Nicht nur das südliche Afrika, sondern auch die westliche Sicht darauf ist also im Wandel. Gewohnte Kriterien verändern sich, herkömmliche Auffassungen, Lehrmeinungen und Weltbilder geraten ins Wanken. Das Bild des Regenbogens verdeutlicht, daß Tradition und Moderne vor allem in der Betrachtung als Ganzes ihre Wirkung und Kraft entfalten. Es symbolisiert das Schillernde des südlichen Afrika, das Überwinden des Schwarz-Weiß-Denkens und ein Anerkennen des gleichberechtigten Nebeneinanders der verschiedenen Farbtöne und Kulturen.

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