Leseprobe INDABA 28/00
Lokalwahlen in Südafrika: Populismus im Vordergrund
Im Vorlauf zu den südafrikanischen Kommunalwahlen vom 5.
Dezember hat die populistische Anprangerung von weißem
Rassismus einen Höhepunkt erreicht. Wirtschafts- und
sozialpolitische Strategien, um das Erbe der Apartheid zu
bewältigen, treten zunehmend in den Hintergrund.
Daß der Sieg wiederum der traditionellen Befreiungsbewegung
Südafrikas, dem African National Congress (ANC), zufallen würde,
stand praktisch für alle politischen Analysten der Kommunalwahlen vom 5.
Dezember 2000 außer Frage (das Endergebnis, das erst nach
INDABA-Redaktionsschluß feststand, finden Sie auf der SADOCC-Website).
Spekuliert wurde höchstens über die Stimmen- und Mandatsverteilung
vor allem in den beiden politisch nicht vom ANC kontrollierten Provinzen,
KwaZulu/Natal und Western Cape. Der teilweise hoch prognostizierte Anteil von
Wahlenthaltung, in dem sich die Enttäuschung vieler Wähler/innen
über das Stocken der wirtschaftlichen und sozialen Transformation
niederschlägt, gab vor allem dem ANC Anlaß zur Sorge. Und für
die umgruppierte Opposition - New National Party und
Democratic Party hatten sich im Sommer zur Democratic Alliance (DA)
zusammengeschlossen - bedeuteten die Gemeinderatswahlen eine erste
Bewährungsprobe vor dem Wähler.
Während es
Staatspräsident Thabo Mbeki gelungen ist, den Widerstand der
traditionellen Autoritäten gegen die neuen Wahlbezirksgrenzen (vgl. INDABA
25/00) größtenteils zu entschärfen und dadurch einen weitgehend
reibungslosen Ablauf des Wahlvorgangs zu sichern, haben seine bizarren
Aktivitäten in der Aids-Frage sowie der Widerstand der Regierung gegen die
Zulassung von Medikamenten gegen die Mutter/Kind-Übertragung von HI-Viren
sein politisches Ansehen merklich geschwächt. Vielfach haben
Kandidat/inn/en der Opposition diese unvermutete Achillesferse durch das
Versprechen für sich ausgenützt, Aids-Medikamente in den von ihnen
gewonnenen Wahlbezirken trotz des Verbots der Regierung an schwangere Frauen
und Opfer von Vergewaltigungen gratis zu verteilen. Ein erstes
diesbezügliches Pilotprojekt wurde von der DA-kontrollierten
Provinzverwaltung des Western Cape im Kapstädter Stadtteil Khayelitsha
auch bereits gestartet. Angesichts der kaum verständlichen
Zurückhaltung des ANC hinsichtlich der Aids-Problematik (vgl. INDABA
27/00) und seiner weitgehenden Beschränkung auf eine
ABC-Kampagne (abstain, be faithful and condomise)
erhofften sich die Wahlstrategen der Democratic Alliance nicht mit Unrecht,
durch solche Aktivitäten vor allem schwarze Wählersegmente ansprechen
zu können
Gleichzeitig jedoch scheint eine bisher stark von der
National Party bediente Wählerschicht zumindest in der westlichen
Kapprovinz weggebrochen zu sein - die sogenannte farbige Bevölkerung.
Parteiinterne Streitigkeiten waren dafür ebenso ausschlaggebend wie die
programmatische Umorientierung der vereinigten Partei (mit ihrer stark
großkapitalistischen Ausrichtung) und die immer noch vorhandene, wenn
nicht sogar zunehmende Attraktivität radikal-islamischer Tendenzen; nicht
zufällig ließen sich im November über achttausend Freiwillige
aus dem Western Cape zur Unterstützung radikaler Fraktionen der
palästinensischen Intifada (vor allem der Hisbollah) registrieren, obwohl
Söldnertum auch in Südafrika gesetzlich verboten ist. Einer
Wählerumfrage des südafrikanischen Human Sciences Research Council
vom September zufolge, die im November veröffentlicht wurde, soll der
Stimmenanteil der Democratic Alliance unter den farbigen
Wähler/innen im Western Cape seit Ende 1999 jedenfalls von 53% auf 29%
gefallen sein. Landesweit wurden der DA etwa 12% des Stimmenanteils in den
Gemeinden vorausgesagt, dem ANC hingegen 58%.
Für den ANC
erbrachte die HSRC-Studie Gewinne in den Wählergruppen der Coloureds und
Inder, zugleich aber erschien die Anzahl der noch unentschlossenen
Wähler/innen in allen Gruppen außerordentlich hoch. Allgemein wurde
davon ausgegangen, daß der ANC seine Mehrheit über die
Gemeinderäte in den sieben von ihm kontrollierten Provinzen - Eastern
Cape, Northern Cape, Free State, Mpumalanga, North West, Northern Province und
Gauteng - würde halten können. Für KwaZulu/Natal wurde eher mit
einer Fortschreibung der bisherigen Machtverteilung - Durban Metropolitan
mehrheitlich ANC, ländliches Gebiet mehrheitlich Inkatha - gerechnet.
Großer Unsicherheitsfaktor allerdings blieb der Umfrage zufolge die
Provinz Western Cape, wo das voraussichtliche Wahlergebnis infolge der hohen
Zahl unentschlossener Wähler/innen nicht prognostiziert werden konnte und
je nach Stimmverhalten sowohl ein Sieg des ANC als auch einer der DA
möglich schien. Bei den ersten Kommunalwahlen 1995/96 hatten in der
Provinz die New National Party 48%, der ANC 37% und die Democratic Party 5%
davongetragen; bei den Parlamentswahlen 1999 waren 42,6% der Stimmen auf den
ANC, 34,3% auf die NNP und 14% auf die Democratic Party entfallen.Das Rennen
schien somit ziemlich offen.
Rückblickend auf die erste Phase der
anspruchsvollen, von Nelson Mandela und dem ANC 1994 eingeleiteten Phase der
nicht-rassistischen Transformation Südafrikas steht ziemlich außer
Zweifel, daß die Funktionsfähigkeit der neu strukturierten lokalen
Gemeinden in vielen Fällen wegen Korruption, Erfahrungsmangel oder
Kompetenzproblemen nicht gegeben ist. Auch aus diesem Grund sind Verbesserungen
im alltäglichen Leben der breiten Bevölkerung nur zum Teil
spürbar geworden. Hinzu kommen Defizite auf nationaler Ebene: Wirtschafts-
oder sozialpolitische Sachfragen spielen angesichts der erfolgten
Marginalisierung des 1994 hoffnungsvoll verkündeten Reconstruction and
Development Programme (RDP) und der weitgehenden Orientierung der
Regierungspolitik an der neoliberalen GEAR-Strategie immer weniger Rolle. Und
je weniger konkrete Transformation existiert, desto mehr Populismus ist
erforderlich, um die (schwarze) Wählerschaft weiterhin an den ANC zu
binden.
So ist von den nicht-rassistischen und partizipatorischen
gesellschaftspolitischen Visionen der Mandela-Ära (wie der
Nationalen Versöhnung) heute kaum mehr die Rede; hingegen sind
Slogans wie Mbekis nebulose African Renaissance-Philosophie, die
These von den Zwei Nationen in einem Land (im Prinzip eine
Neuauflage der Schwarz-Weiß-Klischees der Apartheidzeit) oder ein
populärer, ideologisch vielfach aus den USA gespeister Gegen-Rassismus zu
rhetorischen Markenzeichen der ersten eineinhalb Amtsjahre des neuen
Staatspräsidenten geworden. Auf nationaler Ebene en vogue, haben derlei
Populismen natürlich auch das Vorfeld der Kommunalwahlen bestimmt,
insbesondere die exklusive Auseinandersetzung mit weißem
Rassismus.
Ein erstes Vorzeichen hatte schon 1999/2000 die
kontroversielle Untersuchung der Human Rights Commission über
Rassismus in den Medien gegeben - eine gute Gelegenheit für
die Regierung, sich öffentlichkeitswirksam gegen linksliberale oder
sonstwie regierungskritische Blätter oder Journalist/inn/en (zumeist
tatsächlich weißer Hautfarbe) in Szene zu setzen; weitgehend
ausgeklammert blieb demgegenüber die Auseinandersetzung mit
schwarzem Rassismus, so mit der nicht nur von südafrikanischen
Menschenrechtsaktivist/inn/en, sondern auch vom UNHCR scharf kritisierten
Fremdenfeindlichkeit der schwarzen Bevölkerung und ihrer Verstärkung
durch die schwarze Boulevardpresse. In ähnlicher Weise einem
Gegen-Rassismus verpflichtet waren ferner die Konferenzen über
African Renaissance im April sowie die Nationale Konferenz gegen
Rassismus im September 2000, eine Vorveranstaltung zu der für November
2001 geplanten Internationalen Konferenz gegen Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit, die in der südafrikanischen Konferenzstadt Durban
stattfinden wird.
Zunehmend schwenkten die Medi- en auf den
regierungsoffiziell vorgelebten gegen-rassistischen Kurs ein - und dies
freilich nicht grundlos. Anfang November schockierte die Ausstrahlung eines
privaten Videobands, das ausführlich die Mißhandlung dreier
schwarzer Immigranten durch weiße Polizisten (und Polizeihunde) zeigte.
Dies war freilich nur der bisher letzte Vorfall in einer Kette rassistisch
motivierter Attacken in diesem Jahr. Mehrfach hatten zuvor Zeitungen über
Gewalttätigkeiten gegenüber Menschen schwarzer Hautfarbe vor allem in
den ländlichen Gebieten des Landes berichtet: fünf Soldaten hatten
einen Mann gezwungen, seine eigenen Fäkalien zu essen; einen weißen
Farmer, der einen seiner Farmarbeiter gefesselt fünf Kilometer hinter
seinem Auto hergeschleift hatte und der nun vor Gericht steht; Fälle von
Selbstjustiz gegen ertappte Diebe, denen man die Kleider wegnahm und sie von
Kopf bis Fuß mit Farbe bepinselte. Hinzu kommen die Rahmenbedingungen
einer weiterhin existierenden und rassisch separierenden strukturellen
Gewalt: Nach wie vor haben sich - für den Durchschnitt der
Bevölkerung - die Lohn- und sozialen Unterschiede kaum verringert,
affirmative action im Berufsleben hat sich angesichts vielfach
fehlender Qualifikationen als problematisch erwiesen, und selbst der
spektakuläre gesellschaftliche Aufstieg einer reichen schwarzen
Business-Elite ist angesichts des verfallenden Rand-Kurses und der teilweise
spekulativen Grundlage ihrer Karriere weitgehend eingebremst.
Und last,
but not least scheinen rechtsextreme Kreise in Südafrika immer noch als
Anlaufstelle internationaler faschistischer und rassistischer Netzwerke zu
fungieren, ohne daß behördlich allzu viel dagegen getan
wird
Der aufgrund dieser Berichte von den europäischen Medien
weithin vermittelte Eindruck, Rassismus und Fremdenhaß schüttelten
das Land am Kap heute mehr als zu Apartheidzeiten, ist in dieser Form
unzutreffend und läßt auf einen massiven
Verdrängungsprozeß der Menschenrechtsverbrechen der Apartheidzeit -
die von denselben Medien zudem ohnehin stets bagatellisiert worden waren -
schließen. Richtig ist jedoch, daß rassistische Verhaltensweisen im
südafrikanischen Alltag existieren und in einem mühevollen
Prozeß - sei es durch Überzeugungsarbeit, sei es durch Einschaltung
der Justiz - abgebaut und sanktioniert werden müssen. Von daher hat die
Aufdeckung rassistischer Gewaltakte durch südafrikanische Medien
sicherlich eine wichtige Bedeutung.
Richtig ist aber auch, daß
die Verurteilung von Rassismus Weißer gegen Schwarze der Regierung Mbeki
besser ins populistische Konzept paßt als die Auseinandersetzung mit
stark zunehmenden Strömungen eines schwarzen Rassismus. Hier
ist zum einen der erwähnte, im Zeichen der African Renaissance stehende
Gegen-Rassismus (der zugleich den ANC-internen Niedergang der linksgerichteten
Congress-Tradition und das Wiederaufleben der Black Consciousness-Philosophie
der 70er-Jahre anzeigt) zu nennen, zum anderen jedoch die in weiten Teilen der
Bevölkerung verbreitete Fremdenfeindlichkeit, v. a. die Diskriminierung
afrikanischer Immigrant/inn/en. Immer wieder, von den südafrikanischen
Medien freilich weniger intensiv berichtet, klagen Menschen aus anderen
afrikanischen Ländern, die in Südafrika dauerhaft oder
vorübergehend leben, über Übergriffe, und eine gemeinsame Studie
der südafrikanischen Human Rights Commission und des Institute for
Democratic Alternatives in South Africa (IDASA) ergab, daß fast jeder
afrikanische Einwanderer am Kap bereits mindestens einmal Zielscheibe eines
rassistischen Vorfalls gewesen war. Der in Südafrika lebende nigerianische
Politikwissenschaftler Dapo Oyewole berichtete kürzlich im BBC-Magazin
Focus on Africa von seinen Erfahrungen: rassistische Beschimpfungen durch eine
ältere schwarze Frau, Hinauswurf aus einem Sammeltaxi, weil er
Ausländer war. Studien des UNHCR und des linksliberalen Mail &
Guardian (einer in den Media Hearings trotz ihrer traditionsreichen
Anti-Apartheid-Vergangenheit stark als rassistisch abqualifizierten
Wochenzeitung in Johannesburg) haben darüber hinaus die
menschenunwürdige Behandlung aufgegriffener illegaler Einwanderer aus
Moçambique sowie das vielfach rassistische Vorgehen der Polizei (INDABA
25/00) gegen Immigrant/inn/en ausführlich dokumentiert.
Rassismus
als Abgrenzungskriterium für die Zuteilung ökonomischer Ressourcen
wird freilich in Südafrika gesellschaftlich so lange reproduziert werden,
solange es keine politisch attraktive und praktisch effiziente
Umverteilungspolitik (mehr) gibt. Denn gerade in Südafrika ist Rassismus
nicht nur eine Sache der Mentalitäten und Traditionen, sondern Produkt der
von der Apartheid geschaffenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen, denen die systematische soziale Schlechterstellung von
Menschen nicht-weißer Hautfarbe bis heute zu verdanken ist. Da eine
solche genuine Transformation (so der Vorsitzende der SA Communist
Party, Blade Nzimande, vor dem 7. Kongreß des Congress of South African
Trade Unions im September) im Regierungsprogramm kaum mehr enthalten ist,
muß sich der Anti-Rassismus der ANC-Führung wohl in erster Linie auf
Rhetorik beschränken. Nicht zufällig wurde der neuerliche Verzicht
auf strukturelle gesellschaftspolitische Veränderungen im Budgetentwurf
für 2001 anläßlich der (infolge der Kommunalwahlen
verkürzten) parlamentarischen Behandlung im November von Gewerkschaften,
Kirchen und zahlreichen NGOs heftig kritisiert. Auch auf kommunalpolitischer
Ebene stoßen neoliberale Initiativen auf den heftigen Widerstand der
Gewerkschaften; mit Streiks und Demonstrationen reagierte etwa die South
African Municipal Workers' Union gegen das sog. Egoli-Programm, das u. a. einen
Großteil der kommunalpolitischen Infrastruktur Johannesburgs
privatisieren soll.
COSATU und seine Mitgliedsgewerkschaften werden die
Feierlichkeiten zum 15. Gründungstag der Organisation knapp vor
Weihnachten sicherlich dazu nutzen, die Regierung neuerlich an die "genuine
Transformation" zu erinnern. Allerdings mißt die ANC-Führung der
traditionellen Allianz mit den Gewerkschaften heute weitaus weniger politisches
Gewicht zu als dies unter Mandela der Fall war. Zumindest immer dann, wenn die
Wahlen vorbei sind...
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