Leseprobe INDABA 27/00
Aids im Südlichen Afrika: Guter Rat ist teuer
Horrorzahlen über die Rate der Aidserkrankungen im
Südlichen Afrika geisterten anläßlich der internationalen
Aids-Konferenz in Durban im Juli durch die Medien. Während sich die
Öffentlichkeit in den Industrieländern besorgt gibt, leisten
Regierungen und Pharmakonzerne allerdings kaum Hilfe zum Wiederaufbau des
schlecht funktionierenden Gesundheitswesens in Afrika. Ein Bericht des Monthly
Regional Bulletin.
Hoffnungen der Aids-Aktivisten, die Konferenz in Durban würde das
Gipfeltreffen der führenden Industrieländer des Nordens, der G8, in
Okinawa (Japan) wesentlich beeinflussen, wurden enttäuscht. Zwar einigten
sich die G7 plus Rußland auf quantitative Ziele für die Reduktion
von Aids, die erforderlichen massiven Geldmittel, um die darniederliegenden
afrikanischen Gesundheitssysteme zur Erreichung dieses Ziels zu befähigen,
wurden freilich nicht in Aussicht gestellt. Es blieb bei der Erklärung der
US-Administration, Aids sei eine Angelegenheit der Nationalen Sicherheit, und
beim Versprechen führender Pharmakonzerne, die Preise für Medikamente
herabzusetzen. Das Hauptthema der G8 waren die neuen Kommunikationstechnologien
und ihre Bedeutung für die Entwicklung...
Bis zum Jahr 2010 sollen
nach den Vorstellungen der G8 die Raten der HIV/Aids-Infektionen von
Jugendlichen um 25% und von Tuberkulose- und Malaria-Sterbefällen um 50%
gesenkt werden. Offen blieb, wie diese präzisen Vorgaben angesichts des
Fehlens auch nur einigermaßen verläßlicher statistischer Daten
aus dem sub-saharaischen Afrika überhaupt gemessen werden können (was
das Südliche Afrika betrifft, bemühen sich derzeit
südafrikanische Wissenschafter/innen im Rahmen eines
IIASA-Forschungsprojekts in Laxenburg um genaue Berechnungen, Anm. d. Red.).
Und darüber hinaus dürften die ehrgeizigen Vorgaben ohne massive
internationale Hilfe und eine großzügige Bereitstellung nationaler
Budgetmittel für medizinische Versorgung ohnehin nicht erreichbar sein.
Selbst ein relativ gut funktionierendes Gesundheitswesen wie dasjenige
Südafrikas ist nicht in der Lage, die für eine Änderung des
Sexualverhaltens oder die Verwendung von Kondomen erforderlichen
Bildungsmaßnahmen zu setzen bzw. eine flächendeckende Versorgung
schwangerer Frauen mit infektionshemmenden Medikamenten zu gewährleisten
(abgesehen davon, daß letzteres in Südafrika gesetzlich ohnehin
nicht erlaubt ist).
Südafrikas Präsident Thabo Mbeki hatte
sich an die Spitze einer afrikanischen Initiative gestellt, die sich um
(finanzielle) Unterstützung beim Kampf gegen Aids u. a. durch
stärkere Investitionen aus dem Norden, Schuldenerlaß und erweiterten
Marktzugang für Afrikas Exporte bemühte. Dieses Special Programme for
African Renewal hatte ursprünglich die Unterstützung
Großbritanniens und der Vereinigten Staaten gefunden; nach Ansicht von
Kommentatoren haben jedoch Mbekis öffentliche Statements über die
Ursachen der Aids-Epidemie als auch seine als zu regierungsfreundlich
interpretierte Zimbabwe-Politik seinen Einfluß auf Okinawa
minimiert.
Von einer globalen Anstrengung zur Bekämpfung von Aids
in Afrika kann jedenfalls im Augenblick kaum die Rede sein. Die in den USA
(für Afrika und Asien) zur Verfügung stehenden Budgetmittel wurden
diesen Mai auf 254 Mio US-$ verdoppelt, und hinzu kommt eine Zusage der
Weltbank vom September 1999, jährlich 3 Mrd US-$ für
Anti-Aids-Programme zu verwenden. Die durch die
Strukturanpassungsmaßnahmen schwer geschädigten Gesundheitssysteme
in Afrika jedoch, die im kontinentalen Durchschnitt nur 5 US-$ pro Einwohner/in
aufwenden, müßten praktisch vom Nullpunkt aus starten. Selbst die
vielzitierten Erfolge Ugandas, wo in bestimmten Gebieten die Rate der
Aids-Erkrankungen halbiert und durch Aufklärungsprogramme Änderungen
im Sexualverhalten der Jugend erreicht werden konnten, sind regional begrenzt
und nicht leicht übertragbar. Südafrikas Regierung erwägt
offenbar weder eine Massenmobilisierung noch die Freigabe von Budgetmitteln
größeren Umfangs, sondern verläßt sich eher auf
internationale Unterstützung.
Weder national noch international
ernsthaft bekämpft, wird die Aids-Epidemie im Südlichen Afrika also
ungebremst weitergehen und dramatische Konsequenzen nach sich ziehen. Jeffrey
Sachs, Direktor des Centre for International Development an der Harvard
University, nannte Aids anläßlich der Tagung des World Economic
Forum im Juni das größte Einzelhindernis für
Auslandsinvestitionen in Südafrika. Südafrikanische Ökonomen
legen eine noch breitere und erschreckendere Perspektive an den Tag. Kristina
Quatteck, Chief Economist bei ING-Barings South Africa, erwartet ab dem Jahr
2006 ein um jährlich 3,1% niedrigeres Bruttosozialprodukt im Vergleich zu
einem Szenario ohne Aids; etwa ein Viertel der erwerbsfähigen
Bevölkerung dürfte zu diesem Zeitpunkt infiziert sein, das
Bevölkerungswachstum (und mit ihm der Inlandskonsum) deutlich
zurückgehen.
Anderen Schätzungen zufolge sind derzeit 4,2 Mio
Menschen in Südafrika, 10% der Bevölkerung, HIV-positiv. Bis 2006
wird sich dieser Anteil schätzungsweise verdoppeln und vor allem die
jungen und produktivsten Jahrgänge betreffen.
4 Mio Rand wendet
eine Firma wie der Elektrizitätsgigant ESKOM bereits derzeit für
Aids-Aufklärung seiner 31.000 Angestellten und Schulstipendiaten auf;
sollte die Epidemie nicht eingedämmt werden, rechnet man nicht nur mit
einem weiteren Anstieg dieser Kosten für Gesundheitsversorgung und die
ständige Ausbildung von Nachwuchskräften (von denen viele dann ebenso
sterben werden), sondern auch mit einem merklichen Rückgang der
Kundenzahl.
Auch Hoffnungen darauf, die 13. World Aids Conference in
Durban im Juli 2000 würde endlich zur Entwicklung einer seriösen
südafrikanischen Aids-Politik führen, wurden enttäuscht. Bereits
im Vorfeld hatte sich Staatspräsident Thabo Mbeki mehr oder weniger offen
hinter eine kleine Gruppe von US-amerikanischen Aids-Dissidenten
gestellt, die eine Verursachung von Aids durch den HIV-Virus leugnen (und
deshalb von der Wissenschaftscommunity weltweit boykottiert werden).
Stellungnahmen des Gesundheitsministeriums in Pretoria hatten im Vorfeld der
Konferenz die Zuverlässigkeit von Statistiken der Vereinten Nationen -
drei Viertel aller HIV-Positiven lebten in Afrika, Südafrika eines der
Länder mit der höchsten Zunahmsrate von Aids - bezweifelt; Mbeki
selbst hatte einen äußerst kontroversen Aids Advisory Panel unter
Teilnahme prominenter Dissidenten einberufen, der u. a. die
wissenschaftliche Aussagekraft von Aids-Test in Frage stellte.
Ohne
darauf im einzelnen einzugehen, sprach Mbeki in seiner Eröffnungsrede der
Welt-Aidskonferenz hauptsächlich von Armut und Verelendung als der
Hauptursache für die Gesundheitsprobleme Afrikas; neue Maßnahmen der
Regierung zur Bekämpfung der Aids-Epidemie wurden nicht angekündigt.
Die Rede wurde als Antwort auf die sog. Durban Declaration, wenige Tage vor
Konferenzbeginn veröffentlicht, gewertet, in der 5.000 führende
Aids-Wissenschafter den Verursachungszusammenhang von HIV und Aids
bekräftigen und gegenteilige Ansichten als unwissenschaftlich und
unverantwortlich kritisieren.
Mbekis kaum verständliche Haltung in
der Aids-Politik hat in erster Linie wohl nicht wissenschafts-, sondern
innenpolitische Gründe. Sie spiegelt ebenso die zunehmend feststellbare
Haltung der Regierung wider, Kritik - auf welchen Gebieten immer - nicht
nachzugeben, wie das Bestreben, ein weiteres Ansteigen des Gesundheitsbudgets
zu verhindern. Speziell geht es dabei um die Weigerung der Regierung,
Medikamente gegen die Mutter/Kind-Übertragung von HIV-Viren (v. a. AZT und
Nevirapine) mit Hinblick auf ihre spätere Gratis-Verteilung an schwangere
Frauen zuzulassen. Als Gründe dafür werden von den Behörden eine
angebliche Giftigkeit von AZT, die hohen Kosten und das Fehlen einer geeigneten
Verteilungsinfrastruktur angeführt.
Die Argumente halten einer
kritischen Prüfung freilich nicht stand. Ist es vielleicht
billiger, fragt der US-Wissenschafter David Ho, HIV-positive Babies
zu behandeln, als durch Vorsorge bei schwangeren Müttern die Infektion der
Ungeborenen zu vermeiden? (in Südafrika werden jährlich etwa
5.000 HIV-positive Babies geboren). Und Berichten bei der Durbaner
Aids-Konferenz zufolge hat der Einsatz von AZT in Brasilien gerade angesichts
eines mangelhaften Gesundheitssystems zu beschleunigten institutionellen
Verbesserungen geführt.
Angesichts von Kritik an der
aids-fördernden Rolle überlieferter Familien- und Sexualnormen gerade
in den maskulin orientierten bantusprechenden Gesellschaften des Südlichen
Afrika (so erst jüngst UNAids-Exekutivdirektor Peter Piot) werden zur
Verteidigung der offiziellen südafrikanischen Haltung hinsichtlich Aids
zunehmend allerdings auch irrationale Argumente ins Treffen geführt. So
Zweli Mkize, regionaler ANC-Gesundheitsminister in KwaZulu/Natal,
gegenüber der Washington Post: In der langen Geschichte
dieses Landes haben uns die Weißen immer gesagt, wie wir mit unseren
Körpern umgehen sollten. Heute geht es darum, daß Afrikaner den
Afrikanern sagen sollten, was richtig ist, nicht
Weiße.
Offiziell werden freilich Kostenargumente in den
Vordergrund gestellt. Die infektionshemmende Behandlung schwangerer Frauen
inklusive der erforderlichen Untersuchungs- und Ausbildungsmaßnahmen
würde Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang zufolge zwischen
acht- und neuntausend US-Dollar pro Person kosten: Stellen Sie das in den
Kontext der Armut in unserer Region.
Ein Standpunkt, der von
Aids-Aktivist/inn/en freilich kritisiert wird: Die Regierung bekennt sich
ja auch zu den Wohnbausubventionen, obwohl diese nicht für alle, die sie
brauchen, sofort zur Verfügung stehen. Was soll also das Argument, wenn es
um Aids geht?
Im Kern scheint es, daß Südafrika
öffentliche Investitionen in infektionshemmende Programme nicht
durchführen will, solange es nicht zu substantiellen Preisnachlässen
seitens der Pharmakonzerne kommt. Diesbezügliche ad hoc-Angebote
zahlreicher Firmen wurden mit der Ausarbeitung einer koordinierten
SADC-Forderung beantwortet, Preisnachlässe für ein Mitgliedsland
müßten automatisch auch allen anderen zugute kommen.
Im
Hintergrund geht es dabei einerseits um die monopolitische Position der
pharmazeutischen Konzerne bei Patentierung, Produktion und Vermarktung von
Medikamenten. Eine Studie von Médecins Sans Frontières etwa
brachte unlängst folgende Preisunterschiede bei Fluconazole (einem
Bestandteil der Aids-Medikamentur, 1982 patentiert) zutage: 8,25 $ in den USA,
12,10 $ in Südafrika, 27,60 $ in Guatemala; eine selbst hergestellte
Version des Medikaments in Thailand kostet im Vergleich dazu hingegen nur 0,29
$. Von UNAids wurde diesbezüglich versucht, die Konzerne zum
Zugeständnis gegenüber den Aids-hauptbetroffenen Ländern zu
bewegen, Medikamente in Eigenregie (unter anderem Namen) zu erzeugen, was den
Preis um durchschnittlich 80% senken würde. Die erwartete
diesbezügliche Ankündigung ist im Rahmen der Durbaner Konferenz
allerdings nicht erfolgt (immerhin geht es dabei auch um die milliardenschweren
Gewinne der Pharmaindustrie).
Andererseits stehen auch
Veränderungen bzw. Neuinterpretationen des internationalen
Patentrechtssystems, vor allem des TRIPS-Abkommens (Trade-Related Intellectual
Property Services) im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) zur Debatte.
Unter den TRIPS-Regeln ist die Kopie und Produktion von in anderen Ländern
patentierten Medikamenten im Fall eines gesundheitlichen
Ausnahmezustands gestattet. Südafrikas diesbezügliches Ansuchen
wurde von der WTO zunächst 1998 abgelehnt - aufgrund einer negativen, von
der Lobby der multinationalen Pharma-Konzene beeinflußten Haltung der
Vereinigten Staaten. In Verhandlungen gelang zwar eine Abschwächung des
US-amerikanischen Standpunktes, und Präsident Clinton stellte im Mai
heurigen Jahres eine Freigabe der Aids-Medikamentenproduktion sogar für
das gesamte sub-saharaische Afrika in Aussicht. Eine diesbezügliche
gesetzliche Freigabe (der Medicines Act) wird nunmehr aber in Südafrika
selbst - nämlich durch rechtliche Maßnahmen der Pharmaindustrie -
vorläufig blockiert.
Südafrikas Aids-Politik stellt somit auch
einen zentralen Schauplatz in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung des
Landes mit der WTO, den multinationalen Konzernen und letztlich den USA dar.
Währenddessen freilich geht die Ausbreitung der Aids- Epidemie ungehindert
weiter. Das Warten auf die perfekte Lösung, so Peter Piot von
UNAids, führt letztlich dazu, daß es für arme
aidsinfizierte Südafrikaner die so dringend benötigte Behandlung
nicht gibt. Die Armen bleiben letztlich wieder über.
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