Leseprobe INDABA 26/00
Amnestie ist nicht billig
Begleitet von Protesten der FPÖ fand am 31. Mai im Parlament in
Wien eine Enquete des SPÖ-Parlamentsklubs zum Thema Rassismus und
Vergangen-heitsbewältigung in Südafrika und Österreich - ein
Vergleich? statt. Bei dieser Veranstaltung - zugleich Teil der
Vorbereitung auf die Anti-Rassismus-Konferenz der UNO 2001 in Durban -
referierten Wolfgang Neugebauer vom Dokumentationsarchiv des
Österreichischen Widerstands sowie Dumisa Ntsebeza, prominentes Mitglied
der südafrikanischen Wahrheitskommission. Hier Auszüge aus dem
Referat
Ein faires Verständnis der Arbeit der Truth and Reconciliation
Commission muß sich zunächst vor Augen halten, wie die
südafrikanische Gesellschaft ausgesehen hat, bevor die Kommission
eingerichtet wurde. Südafrika war eine von Rassentrennung, Rassenhaß
und rassischem Kapitalismus gespaltene Gesellschaft, es war eine Gesellschaft,
in der Rassismus institutionalisiert war. Rassismus war der Grundstein der
Rechtsordnung, aber Rassismus gab es auch im Bereich der Kirchen, der Medien,
der Wirtschaft, der Medizin - kein gesellschaftlicher Bereich hatte sich diesem
Rassismus entziehen können. Demgegenüber konnte sich die Truth and
Reconciliation Commission nur mit einem kleinen Ausschnitt von
Menschenrechtsverbrechen beschäftigen - mit den politischen Morden,
Entführungen, mit Folter und Einschüchterung zwischen 1960 und 1993.
Aber es gab einen viel breiteren rassistischen Kontext als den, den das Mandat
der Kommission und die dafür zur Verfügung stehende Zeitspanne
umfaßten. Wir konnten die Rolle von Justiz, Wirtschaft, Medien oder
Glaubensgemeinschaften nur in Form einiger weniger Institutionen-Hearings
beleuchten, aber vieles diesbezüglich wird noch getan werden
müssen.
Zwischen 1990 und 1994 ist es in Südafrika zu einer
Verhandlungslösung gekommen, als deren Ergebnis eine Verfassung entstand,
die zum ersten Mal einen Grundrechtskatalog enthielt. Man muß sich aber
vergegenwärtigen, daß diese Verhandlungslösung ein
Kompromiß der beiden konkurrierenden politischen Strömungen war, der
Befreiungsbewegung einerseits und der Apartheidkräfte andererseits, und
daß es keine klaren Gewinner gab. Sie war ein politischer
Kompromiß, und wie bei allen politischen Kompromissen gab es politische
Tauschgeschäfte. Beispielsweise hatten wir in Südafrika keine
einstürzende Berliner Mauer, wir hatten nicht das Privileg, ein
Stasi-Gebäude umzingeln zu können und Zugang zu all den Akten zu
erhalten. Im Gegenteil - ein Großteil der belastenden Akten ist seit 1990
vom National Intelligence Service vernichtet worden - obwohl die vorhandene
Evidenz - Ironie der Geschichte - immer noch ausreichte, zahlreiche schwere
Menschenrechtsverbrechen nachzuweisen.
Eine zentrale Aufgabe der Truth
and Reconciliation Commission war es, die nationale Aussöhnung zu
fördern. Sowohl die Verfassung als auch der Promotion of National Unity
and Recociliation Act - die Rechtsgrundlage der TRC - gingen davon aus,
daß um nationale Aussöhnung möglich zu machen, den
Verantwortlichen für menschenrechtswidrige und politisch motivierte
Handlungen oder Unterlassungen, die im Kontext der politischen
Auseinandersetzungen der Vergangenheit begangen worden waren, unter bestimmten
Umständen Amnestie gewährt werden sollte.
Das war eine
Formel, die den politischen Bedingungen von 1993/1994 entsprach. Welche
Optionen hätten wir sonst gehabt? Nürnberger Prozesse?
Gerichtsverfahren wie jenes, dem Erich Honecker in der BRD unterworfen wurde?
Wir müssen in Rechnung zu stellen, daß wir im April 1994 zwar den
ANC in die Regierung wählten, daß jedoch die Armee von den
Generälen bis zu den Unteroffizieren komplett in der Hand der alten
Kräfte waren, daß die Sicherheitskräfte, die Polizei und das
Gerichtswesen total unverändert waren und die Ansichten und
Überzeugungen der alten Ordnung widerspiegelten, ebenso das
Gefängniswesen, alles old style Apartheid. Ende April 1994 hatten wir zwar
eine ANC-Regierung, die von der großen Mehrheit des südafrikanischen
Volkes gewählt worden war, aber trotzdem waren wir nicht in der Lage, alle
diese Institutionen zu kontrollieren.
Unter den gegebenen Umständen
von 1993/94, in dieser kritischen Zeit der Machtübergabe von der alten
Ordnung an den ANC, war ein Amnestieprozeß also die einzige Lösung,
um sich unmittelbar und ohne Verzögerung mit der Vergangenheit
auseinanderzusetzen. Wir mußten sicherstellen, daß die
Verantwortlichen nicht einfach so davon kommen konnten.
Dieser
Amnestieprozeß wurde natürlich kritisiert, und nicht mit Unrecht.
Leisten wir einer Kultur der Straflosigkeit Vorschub? Lassen wir Menschen, die
Verbrechen gestanden haben, straffrei gehen? Ja, das sieht die Gesetzeslage
vor. Meine Gegenargumente aber sind folgende: Hätten wir erstens
ausreichend Beweise gehabt, um diese Leute einer gerechten Strafe
zuzuführen? Erinnern Sie sich an die Ermordung von Steve Biko in einem
Apartheidgefängnis 1977. Es gab damals eine gerichtlich Untersuchung, in
der einige der besten Juristen Südafrikas Bikos Angehörigen vertraten
- aber die konkreten Verantwortlichen für den Tod Bikos konnten nicht
namhaft gemacht werden. Selbst im Fall Griffiths Mxenge - und seine
Angehörigen sind es ja, die die TRC in diesem Fall kritisieren - konnte
die Wahrheit über die Umstände seiner grausamen Hinschlachtung erst
dann festgestellt werden, als die Täter vor der Kommission ein
Geständnis ablegten. Ein gerichtliches Vorgehen ohne ein solches
Geständnis hätte nicht zu einer Verurteilung
geführt.
Zweitens ist die Annahme falsch, daß Beweise, selbst
wenn sie vorhanden gewesen wären, zwangsläufig zu einer Verurteilung
geführt hätten. In Südafrika hatten wir ja so einen
Prozeß, und zwar während die Truth and Reconciliation Commission
ihre Tätigkeit durchführte, nämlich gegen den früheren
Verteidigungsminsiter Magnus Malan und die frühere Führungsspitze der
South African Defence Force. Aber was geschah? Der Staatsanwalt, der das
Verfahren durchführte, hatte schon Anfang der neunziger Jahre
gegenüber der Harms Commission das Vorhandensein von Todesschwadronen
geleugnet, und gerade das war ja der Vorwurf gegen all diese Generäle,
daß sie paramilitärische Kapazitäten in die Hände von
Inkatha gelegt hatten, obwohl es vorauszusehen war, daß sie diese gegen
die United Democratic Front nützen würden. So war es kein Wunder,
daß der Staatsanwalt die Ermittlungen nicht umfassend betrieb und als
Resultat dessen alle Generäle wegen Mangel an Beweisen freigesprochen
wurden. Die Konsequenz jetzt ist leider, daß sie nun nicht mehr
gerichtlich belangt werden können.
Drittens wird fälschlich
angenommen, daß die Amnestie unter den Bedingungen, unter denen sie von
der TRC in Südafrika gewährt wird, gleichzusetzen ist mit
Straffreiheit oder mit mangelnder Strafe, daß die Leute keine
ausreichende Strafe erhalten, weil nicht ins Gefängnis kommen. Aber in
Südafrika ist es anders als in Argentinien oder in Chile, wo Menschen
ano-nym um Amnesty ansuchen konnten oder wo sie sie sich selbst - wie im Fall
Pinochets - gewähren konnten. In Südafrika stellen wir sicher,
daß der Amestieprozeß individuell ist, es gibt keine
Gruppenamnestie, nicht einmal für den ANC. Jeder oder jede muß
selbst kommen und im Detail bekannt geben, wofür er oder sie Amnestie
erhalten möchte. Wenn es um Mord, Entführung, Folter oder
Einschüchterung geht, muß man das öffentlich tun, vor den Augen
der Öffentlichkeit und der Medien. Und es muß ein volles
Geständnis geben, sonst gibt es keine Amestie.
In diesem
Amnestieverfahren ist es unmöglich, daß sich ein Täter jemals
wieder hinter der Justiz verstecken kann. Er oder sie muß klar sagen, ich
habe den oder jenen an dem oder jenem Tag ermordet. Und das ist nicht einfach,
weil die Angehörigen der Ermordeten und ihre Rechtsanwälte anwesend
sind und nach Details fragen. Es gab einen Folterknecht, der vor der Kommission
demonstrieren mußte, wie er Gefangenen die Kapuze überstülpte,
auf ihrem Rücken kniete und sie strangulierte, bis sie zu ersticken
drohten. Menschen wie dieser, selbst wenn sie Amnestie erhalten, sind mit
ziemlicher Sicherheit sozial gebrandmarkt, stigmatisiert für den Rest
ihres Lebens. Das ist lebenslängliche Inhaftierung, sie können das
nicht mehr abstreiten, sie erleiden Konsequenzen. Es kommt zu Scheidungen, die
Kinder erfahren erstmals, was ihre Eltern getan haben, sie werden von anderen
Kindern mit dem konfrontiert, was sie im Fernsehen gesehen haben. Es gibt eine
traumatisierte Gruppe von Kindern, die nun mitbekommen haben, was ihre
Väter zur Zeit der Apartheid getan haben. Diese werden nie sagen
können, ich habe meine Strafe abgesessen, jetzt ist es vorbei. Sie werden
ihr Lebtag lang kriminalisiert sein.
Und vergessen Sie nicht, daß
die Amnestie nur für Südafrika selbst gilt. Gerade der Fall Pinochet
hat gezeigt, daß es in dieser Welt sehr wohl möglich ist,
Menschenrechtsverbrecher auch in anderen Ländern vor Gericht zu stellen.
Selbst wenn jemand in Südafrika Amnestie erhalten hat - diese gilt ja
nicht für andere Länder. Gerade bei den aufsehenerregenden
Fällen können die Täter Südafrika nicht mehr verlassen, sie
können nicht sicher sein, ob sie nicht in London oder Paris oder selbst in
Afrika vor Gericht gestellt werden. Die Welt schrumpft für jene, die
schwere Menschenrechtsverbrechen begangen haben. Und das ist eine Lehre aus der
Truth Commission. Amnestie ist nicht billig, Amnestie ist ein Privileg. Ein
Verbrecher wie Wouter Basson, der Mengele Südafrikas, ist in den Americas
nicht umsonst zur Persona non grata erklärt worden.
Wie werden wir
mit dem Erbe der Truth and Reconciliation Commission nun umgehen? Die
Kommission verfügte nur über 18 Monate, das war eine unmögliche
Aufgabe. Um eine umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit zu
gewährleisten, hätte man eine permanente Kommission gebraucht. Die
TRC sollte nur ein Fenster in die Vergangenheit öffnen und dadurch die
Überzeugung nähren, daß die Vergangenheit sich nie wiederholen
darf. Es ist zu früh für mich zu beurteilen, ob das ausreichend war
oder nicht. Aber noch einmal: 1994/94 gab es keine andere Möglichkeit. Wie
würde Südafrika heute aussehen ohne die TRC? Es wird ein Institut
geben, dessen Aufgabe es sein wird, die Arbeit der Truth and Reconciliation
Commission weiterzuführen, die Vergangenheit weiter zu erforschen und
gesellschaftliche Konsequenzen der Gesellschaft gegenüber den Tätern
einzufordern.
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