Leseprobe INDABA 25/00

Polizeireform in Südafrika

Peter Gastrow war Parlamentsabgeordneter der Democratic Party, ab 1991 Mitglied des National Peace Secretariat und ab 1994 Berater des Sicherheitsministers in der Regierung Mandela. Er leitet heute das Büro des Institute for Security Studies in Kapstadt. Das Interview führte Walter Sauer in Wien.

Wenn von Polizei in Südafrika die Rede ist, denkt jeder an die Kriminalität, die weite Landesteile erschüttert. Wie ist Ihre Einschätzung des Problems?

Es ist ganz klar, daß die Kriminalitätsrate in Südafrika unakzeptabel hoch ist. Allerdings aber hat es den Anschein, daß sie nicht mehr wächst. Die Kriminalitätskurve hat sich abgeschwächt, allerdings natürlich auf einem sehr hohen Niveau. Ursachen für dieses noch immer hohe Niveau der Kriminalität sind die Armut weiter Kreise der Bevölkerung, eine weithin herrschende Kultur der Gewalt - und zwar unter Schwarzen ebenso wie unter Weißen oder Farbigen -, die soziale Entwurzelung von tausenden Menschen, die aus den ländlichen Gebieten in die Städte kommen, und nicht zuletzt auch eine Schwächung der staatlichen Strukturen wie etwa des Polizeiapparats während der Transition Südafrikas von einem totalitären hin zu einem demokratischen System. Das sind einige der Ursachen.
Die Regierung hat nun der Bekämpfung der Kriminalität höchste Priorität eingeräumt, weil sie sich direkt negativ auswirkt auf die Bevölkerung ebenso wie auf das Investitionsklima. Es gibt daher heute großangelegte Trainingsprogramme für die Polizei, massive zusätzliche Finanzmittel werden für Ausbildung und Ausrüstung bereitgestellt, internationale Erfahrungen bei der Kriminalitätsbekämpfung werden genutzt usw. Kriminalitätsbekämpfung ist in der Tat die Priorität Nummer eins für die Regierung. Aber ich denke, das ist ein langwieriger Prozeß. Kurzfristig wird die Kriminalität sicherlich noch hoch bleiben.

Aber werden rein polizeiliche Maßnahmen ausreichen, um die von Ihnen erwähnten gesellschaftlichen Wurzeln der Kriminalität zu beseitigen?

Nein, überhaupt nicht. Deswegen wurden im Februar von Polizei- und Justizminister intensive soziale Maßnahmen angekündigt, um vor allem in den ärmeren Gebieten, in den Townships und Squattergebieten, die Grundursachen der Kriminalität anzupacken. Es geht zum Beispiel um mehr Freizeiteinrichtungen, um mehr Schulen in den Squatterareas, damit sie näher zu den Bewohnern liegen, oder um Versuche, Industrien und Arbeitsplätze näher an die Townships zu bringen. Es ist ganz klar, daß die Ursachen angepackt werden müssen, aber das geht nur längerfristig. Auch die Kirchen und Gewerkschaften zum Beispiel nehmen an Projekten teil, die die Bevölkerung aktivieren. Das Problem ist, daß in vielen Gebieten das soziale Gefüge zerstört wurde und zwar auf vielen Gebieten, weshalb es zu Kindesmißhandlungen, Alkoholismus, Drogenkonsum oder Mißbrauch von Kindern und Frauen kommt. Es gibt zahlreiche Gründe für den Zusammenbruch der Gesellschaft, und Kirchen, Gewerkschaften, Regierungseinrichtungen und NGOs sind aktiv, um diesen Zusammenbruch aufzufangen.
Das sogenannte Community Policing, ein wichtiger Teil der nach 1994 entwickelten neuen Sicherheitsphilosophie, spielt hier also eine wichtige Rolle?

Man hat natürlich viel mehr Erfolg, wenn das funktioniert. Das Community Policing Forum ist ein Teil einer breiten Strategie, um die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und der lokalen Bevölkerung zu verbessern. Nun ist es aber leider so, daß die Erfahrungen mit den Community Policing Fora nicht in allen Gebieten gut sind. Es gibt Gebiete, wo es noch immer schwer ist, ein CPF zusammen zu kriegen, weil sie politisch zu heterogen sind oder wo es zwar solche Fora gibt, diese aber von kriminellen Organisationen dominiert werden. Aber im Großen und Ganzen bin ich der Meinung, daß die CPF seit 1994 viel dazu beigetragen haben, daß es jetzt eine viel bessere Zusammenarbeit zwischen der lokalen Bevölkerung und der Polizei gibt. Aber es muß noch viel getan werden, damit die Situation wirklich befriedigend wird.

Die CPF-Strategie stand ja in einem breiteren Kontext strukturverändernder Maßnahmen der neuen Regierung, um eine Transformation des Polizeiapparats zu initiieren. Ist das Ihrer Meinung nach gelungen?

Es hat sich allerhand verändert in der Polizei, aber auf der anderen Seite gibt es noch vieles, was zu wünschen übrig läßt. Etwa 98% der jetzigen Polizisten sind vor der Demokratisierung ausgebildet worden sind und haben deswegen eine Einstellung zu Polizeiarbeit, die noch von der Apartheid geformt wurde, wo Polizeiarbeit ganz anders gesehen wurde als jetzt. Mit Menschenrechten hatte das damals nichts zu tun, die Untersuchungsmethoden waren oft mit Gewalt und Folter verbunden. Heute ist das ein Teil des riesigen Problems, die Leute für ein demokratisches Polizeisystems auszubilden, in dem ganz andere Maßstäbe herrschen sollen. Natürlich gibt es intensive Schulungen, aber das braucht eben seine Zeit. Man kann das Bewußtsein von Polizisten nicht einfach binnen zwei, drei oder vier Jahren verändern. Aber immerhin haben unsere Anstrengungen doch eine Wirkung gehabt, auch mit Hilfe des Auslands. Das Vertrauen zwischen der Polizei und der breiten Gemeinschaft hat sich verbessert.
Probleme bestehen etwa mit Rassismus in der Polizei. Die Führungsschicht ist immer noch hauptsächlich weiß und besteht aus Leuten, die auch in der Apartheid im Management waren. Und man hat das Problem, daß es etwa fünfzehn- bis zwanzigtausend Polizisten gibt, die praktisch Analphabeten sind. Das ist auch ein Überbleibsel des ehemaligen Systems. In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre wurden die sogenannten Kitskonstables rekrutiert und in Schnellkursen trainiert, und die kamen nach 1994 in die Polizei mit hinein. Trotz vieler Kurse haben es viele von denen nicht geschafft, den erforderlichen Bildungsgrad zu erwerben. Es gibt also noch viele Probleme in der Polizei, aber die Situation hat sich in den vergangenen fünf Jahren ganz klar verbessert.

Hat es im Zuge der Regierungsübernahme durch den ANC je die Gefahr einer Meuterei gegeben?

Das war ein Problem vor 1994, kurz vor den Wahlen, wie es überhaupt das Problem der Third Force gab, in die auch die Polizei verwickelt war, nicht nur das Militär oder Angehörige der Sicherheitspolizei. Einer der ersten Schritte des neuen Ministers, Sydney Mafumadi, war es, die alten Netzwerke aufzubrechen, bestimmte Leute daraus rauszunehmen, sie woanders hin zu versetzen und neue Leute auf ihre Plätze zu stellen. Deswegen bestand nach 1994 nie die Gefahr einer Meuterei. Man muß sich auch daran erinnern, daß elf verschiedene Polizeiapparate umstrukturiert wurden, unter Einschluß der ganzen Homelands, und daß so schnell wie möglich ein neues South African Police Service mit neuen Provinzstrukturen geschaffen wurde. Das gab die Gelegenheit, mögliche Gefährdungen der Entwicklung hintanzuhalten.

Ein Problem, das uns im Ausland immer sehr bewegt hat, war die Frage der Menschenrechte. Ständig gab es Folter, Todesfälle in der Haft usw. Hat sich das nun verändert?

Es gibt immer noch Vorfälle von Folter, es gibt immer noch Todesfälle im Gefängnis. Die Lage hat sich aber verbessert in dem Sinn, daß es jetzt eine unabhängige Kommission gibt, das Independent Complaints Directorate, deren Aufgabe es ist, sich mit sämtlichen Beschwerden gegen die Polizei zu befassen. Jedwede Beschwerde wegen Folter oder Mißhandlung oder auch bei Todesfällen in Gefängnissen wird sofort unabhängig durchsucht, und daher ist alles viel transparenter als früher. Solche Vorfälle passieren zwar leider, aber sie haben lange nicht mehr dieselben negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft wie früher.

Auf der anderen Seite hat es aber relativ wenige Aussagen aus Polizeikreisen vor der Truth and Reconciliation Commission gegeben. Wie steht es dann mit der Vergangenheitsbewältigung in der Polizei?

Die Polizei war eigentlich am direktesten betroffen durch die TRC, weil natürlich die Sicherheitspolizei während der Apartheidzeit am meisten für die Menschenrechtsverbrechen verantwortlich war. Meiner Meinung nach haben viele Polizisten darauf spekuliert, sie würden nicht gerichtlich verfolgt werden, wenn sie nicht vor der Kommission aussagten. Immerhin sind 1994 beim Amtsantritt der neuen Regierung sämtliche Akten der Sicherheitspolizei verschwunden. Daher war es wirklich unwahrscheinlich, daß jemand belangt werden würde, wenn er nicht von selbst vor der TRC aussagte. Es gab allerdings welche, die ehrlich mit der Wahrheit herauskamen, und es gab andere, die es nur taten, weil sie wußten, daß genügend andere Beweise gegen sie vorlagen. Für viele Polizisten war es eine sehr dramatische Erfahrung, vor der Truth Commission auszusagen und mit den Familien der Opfer konfrontiert zu werden. Es war dramatisch für sie auch in dem Sinn, als nun die Öffentlichkeit realisierte, von welchem Polizeisystem sie ein Bestandteil gewesen waren. Und die Öffentlichkeit begann zu fragen, wovon sie noch gewußt haben mußten. Insgesamt glaube ich, daß es Zeit brauchen wird, um die Wunden zu schließen. Aber ich freue mich darüber, daß zumindest einige Polizisten aussagten, um Südafrika und der Welt zumindest eine Idee von den Brutalitäten zu vermitteln, die vorgefallen waren.

Herr Gastrow, Sie waren ja auch ein führender Vertreter des Peace Accord, der Anfang der 90er-Jahre eine wichtige Rolle bei der Eindämmung der politischen Gewalt spielte. Wie sehen sie seine Bedeutung heute?

Das Wichtigste am National Peace Accord, der 1991 von allen politischen Gruppen unterzeichnet wurde, war meiner Meinung nach die Tatsache, daß er ein Kennenlernen ermöglichte und eine Einübung für die Verfassungsverhandlungen. Zum ersten Mal in der Geschichte Südafrikas trafen sich die verschiedenen, einander gegnerisch gegenüberstehenden politischen Führer. Das war 1991. In den nächsten drei Jahren bildete der Peace Accord eine neutrale Plattform für die politischen Gruppen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen, das in aller Interesse gelegen war. Es wurde eine Kultur der Verhandlungen ausgearbeitet, ein Prozeß der Orientierung fand statt, es ergab sich die Notwendigkeit, auf den anderen zu hören, den anderen zu verstehen. All das wurde während der Tage des Peace Accord eingeübt. Für mich war das etwas ganz Wesentliches. Ich bin überzeugt, daß der CODESA-Prozeß und vor allem die Verhandlungen über die Verfassung niemals in dieser Form stattgefunden hätten und nicht erfolgreich gewesen wären, wenn es nicht diese Einleitungsphase gegeben hätte. Und das alles abgesehen von der Tatsache, daß der Peace Accord auch signifikant dazu beigetragen hat, daß die politische Gewalt zurückgegangen ist.

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