Leseprobe INDABA 21/99

Stippvisite bei einer Königin

Als Ethnologin beschäftigte sich Elfriede Höckner mit der Geschichte der Lobedu, einer Ethnie in Südafrika. Im Sommer 1998 fuhr sie im Rahmen einer von SADOCC organisierten Reise nach Südafrika - mit einem offiziellen Empfangstermin bei Lobedu-Königin Modjadji in der Tasche.

Auf der Fahrt von Pietersburg nach Tzaneen verwandelt sich die Asphaltstraße in eine Lehmstraße. Fester Boden, rote, rissige, trockene Erde - Wintererde. In eines der Dörfer biegt Jean-François, Sohn eines Schweizer Missionars und in Südafrika aufgewachsen, schließlich ein, hier treffen wir Emily, die uns den Termin in der Hauptstadt - moshate - vermittelt hat. Wir werden mit einem Händedruck empfangen, und nach einem Wortwechsel in Sotho mit Jean-François heißt uns Emily in ihrem Haus mit großen Stühlen und Sofasesseln auf Englisch willkommen. Sie gibt das Wort an Jean-François, der Gott für die gesunde Ankunft von uns allen dankt und seine Rede mit einem "Amen" schließt.

Die Fahrt zur Hauptstadt wird nun mit Emily fortgesetzt. Auf dem Weg dorthin muß noch ein Mann abgeholt werden, von dem sich herausstellen wird, daß er einer der vier derzeitigen Räte/Minister der Königin ist. Während wir auf Jean-François und Emily warten, die auf einen holprigen Seitenweg abzweigen, um den Minister abzuholen, schauen wir Kindern und Jugendlichen beim sonntäglichen Fußballspiel zu. Sie posieren, sobald sie unsere Blicke spüren, lachen, wenn wir sie fotografieren. Endlich, die winterliche Kälte setzt uns in unseren Sonntagskleidern zu, kommen die Erwarteten zurück, und die Fahrt kann weitergehen. Vorbei an kleinen Strassengeschäften, die alle die Beifügung Modjadji tragen, biegen wir in eine steil ansteigende Straße mit großen Schlaglöchern ein und erreichen schließlich die Kuppe des Bergzugs. Der Minister steigt aus, um das Tor zur Einfahrt nach moshate zu öffnen.

Ein weiter Platz mit einem hohen Baum, links nach der Einfahrt ein moderner, protziger Bau, rechts etwas erhöht ein großes Rondabel, ein Rundhaus mit dem traditionellen, mit Kuhdung geglätteten Vorplateau.

Am anderen Ende des Platzes gehe ich aus dem sauberen Plumpsklosett heraus und werde plötzlich gewahr, daß der Minister mit dem ganzen Körper seitlich auf diesem Vorplateau liegt, beide Hände in Bittstellung gefaltet, und zum Rondabel hin in Lobedu spricht. Während ich noch völlig überrascht davon bin, einen ungefähr 65jährigen Mann, der durch seinen aufrechten Körper sowie eine zielgerichtete Festigkeit besticht, auf dem Boden liegen zu sehen, steht er wieder auf und winkt uns herbei. Hinter Emily und Jean-François finde ich mich am Eingang des Rondabels wieder, wo frau/mann auf die Eingangsstufe niederkniet, über die Schwelle rutscht und sich erst im Inneren wieder erhebt.

Im Halbrund rechts vom Eingang stehen mehrere Stühle, links nur ein einziger. Gegenüber vom Eingang befindet sich ein Tisch mit vier Sesseln, auf dem Tisch eine Stereoanlage, ein Telefon, eine Vitrine, Urkunden. An der Wand hängt das Foto eines Mannes - vielleicht der vor kurzem verstorbene Bruder der Königin - sowie dasjenige von Modjadjis Vorgängerin. Ich komme neben Jean-François zu sitzen, an dessen anderer Seite Emily Platz genommen hat. Direkt mir gegenüber sitzt Modjadji selbst in einem gepolsterten Stuhl, eingewickelt in eine grüne Decke, eine gelbe Baskenmütze auf dem Kopf, die Beine stecken strumpflos in ungebundenen Halbschuhen. Nachlässig lehnt sie da und wartet. Über ihr an der Wand hängt ein Bild, wie es im Tirol der 60er Jahre über etlichen Schlafzimmerbetten angebracht war: Ein sitzender sanfter Jesus mit Kindern und Schafen und dem Untertitel "Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich". Der Minister hat den einzigen Stuhl links vom Eingang eingenommen.

Der Minister spricht nun im Sitzen zu Modjadji und informiert uns anschließend in Englisch, daß er alles, was er zu Modjadji sage, an uns weitergeben werde. Er freue sich, daß wir die weite Reise unternommen haben, um Modjadji und das Dorf zu besuchen. Es sei eine Ehre, daß uns Her Majesty empfange. Erwartungsvoll sehen danach sowohl der Minister als auch Modjadji unseren "einzigen Mann und Koordinator" Walter an, der spontan abwehrend reagiert, doch auf Jean-François' Aufforderung hin stellt er unsere Gruppe mit Namen und Profession vor (nach der Tagesverantwortung in der Gruppe wäre es meine Aufgabe gewesen). Der Minister übersetzt die Vorstellung für Modjadji und dann ihre Antwort für uns.

Sobald der Minister seine Rede beendet habe, so werde ich von Emily instruiert, solle ich ihm unsere Geschenke - unter anderem ein Exemplar meines Buches und ein historisches Foto von Modjadji IV. - überreichen. So geschieht es. Der eloquente Sprecher legt die ihm übergebenen Geschenke Modjadji zu Füßen, indem er sich im Abstand von ca. einem Meter wieder in voller Länge seitlich auf den Boden legt, die Hände faltet und zu ihr gewendet auf Lobedu spricht. Modjadjis verbale Äußerungen beschränken sich auf "hms" in diversen Tonarten, die je nachdem Zustimmung oder Ablehnung bedeuten. Schließlich erhebt sich der Minister behend vom Boden und beginnt, wieder auf seinem Stuhl sitzend, mit einer Rede.

Modjadji freue sich, uns hier begrüßen zu können, erlaube uns auch, in ihrem Dorf Fotos zu machen, nur eines erlaube sie nicht, sie selbst zu fotographieren. Das ist das Stichwort für Emily, mir zu sagen, daß ich nun verhandeln müsse. Ich, vom Beobachten viel zu sehr eingenommen, sehe mich außerstande, die notwendige Rhetorik, Freundlichkeit, Lockerheit aufzubringen, unser Anliegen entsprechend vorzutragen, und wende mich instinktiv mit der Bitte an Jean-François, für mich zu sprechen. Dieser erfüllt die Aufgabe souverän, spricht von der Freude, hier sein zu dürfen, der Ehre, von Modjadji empfangen zu werden, von ihrer Großzügigkeit und ihrem Entgegenkommen. Er bedankt sich für den Aufwand und die Zeit, die dazugeopfert werde, für die Erlaubnis, daß wir in ihrem Dorf herumgehen und Fotos machen dürfen und merkt ganz beiläufig an, daß wir die lange Reise und sämtliche Beschwernisse auf uns genommen haben, um doch auch ein Foto von Modjadji selbst zu erhalten, wofür wir gerne ein Geldgeschenk geben würden, denn schließlich wollten wir daheim auch bildhaft Bericht erstatten. Womit ich wieder am Zug bin, den bereits vorbereiteten Geldbetrag von 200 Rand (ca. 400 öS) dem Minister zu überreichen, der ihn in der nun schon bekannten Weise, auf dem Boden liegend, zu den anderen Geschenken dazulegt und für unser Anlie-gen wieder das Wort an Modjadji richtet. Ihr "hm" bedeutet schließlich die erhoffte Zustimmung, ein Foto von ihr machen zu dürfen.

Vor dem Fototermin müsse sich Modjadji noch umkleiden, läßt uns der Minister wissen, mittlerweile gehe er mit uns ins Dorf. An diesem Punkt wendet er sich direkt an mich, denn ich wisse ja, wie man im Dorf gehe. Er spricht zu mir, als sei ich bereits dagewesen. Ja, erwidere ich, ohne Schuhe. Nach dieser Klarstellung der Verhaltens-regeln überrascht der Minister mit der Ankündigung, daß er nun explizit etwas sagen werde, was er vorher nicht zu Modjadji gesagt habe, und fordert uns dann auf, uns für ein geplantes Hotelprojekt auf Lobedugrund einzusetzen. Er übersetzt diese Bemerkung daraufhin für Modjadji, die sie offensichtlich zustimmend zur Kenntnis nimmt.

Das Dorf, von dem nur der neuartige Palazzo und das Rondabel außerhalb der Umzäunung stehen, darf nur mit bloßen Fußsohlen, in direkter Berührung mit Mutter Erde, begangen werden. Dies gilt für alle, für jedes Kind, jede Frau, jeden Mann, und stellt keine Sonderregel für Besucher dar. Barfuß zu sein, ist ein Ausdruck des Respekts.

Mittlerweile hat sich Modjadji für den Fototermin zurechtgemacht. Barfüßig dürfen wir sie vor dem Haus ihrer Vorgängerin, wo sie auf der obersten Stufe der Eingangsstiege steht, fotographieren. In Schwarz gewandet, setzt sie, die vorher freimütig auf uns und die Welt geblickt hat, ein blasiertes, düsteres Gesicht auf. Eine zur Schau gestellte Maske für all die Augenpaare, die möglicherweise ihre Abbildung betrachten werden, ohne daß Modjadji selbst sie je zu Gesicht bekommen wird? Die Verwandlung ist eigenartig und bar jeglicher Erklärung.

Das Dorf präsentiert sich so wie auf den Fotos aus den 50er Jahren. Sauber gefegte Plattformen umgeben die Rondabeln, von denen einige mit ornamenthaften Wandbemalungen aus Naturfarben versehen sind. Das Haus von Modjadji IV. dient als Aufbewahrungsort für die traditionellen Trommeln, und an jedem Eck des Hauses - denn dieses Haus unterscheidet sich von den anderen durch seinen rechteckigen Grundriß - lehnt auf der Veranda ein ehemaliger khoro-Pfahl in Form einer geschnitzten weiblichen Figur.

Der khoro - so wie das Dorf aufgrund der Hügellage leicht abschüssig - ist ein offener, von einem Zaun aus stockähnlichen Ästen begrenzter Platz mit fünf Zugängen, die ebenfalls von Pfosten begrenzt sind. Kinder spielen Fußball, und der Minister zeigt uns am oberen Ende mehrere Steine, auf denen sich Kläger/in und Angeklagte/r gegenübersaßen. Inwieweit und wie die Rolle der Gerichtsbarkeit auch heute noch von Modjadji und ihren Räten vollzogen wird, ist nicht ganz klar.

Am Vortag hat mir eine Lobedufrau berichtet, daß die Leute nach wie vor zu Modjadji gehen und sie um Land bitten. Von den Räten/Ministern wird ihnen dann gegen die Entrichtung eines geringen Fixbetrages ein bestimmter Grund zur Nutzung zugeteilt. Wenn allerdings die Gemeinschaft ein Individuum, aus welchen Gründen auch immer, als asozial, also gegen die allgemeinen Interessen handelnd, einstuft, wird diese Person von Modjadji des Landes verwiesen und darf sich nicht mehr innerhalb ihres Einflußbereichs niederlassen.

Wieweit heute Modjadjis Einflußbereich reicht, welche Befugnisse sie nach der Auflösung des Homelands Lebowa (von dem das Lobedu-Reservat ein Teil war) hat, wieviele Menschen sich als Lobedu bezeichnen, bleiben offene Fragen. Vor 1894 erstreckte sich der Einflußbereich Modjadjis auf ca. 2.000 km2, im Homeland Lebowa schließlich auf ca. 400 km2. Heute unterstehen knapp 160 Dörfer mit ihren jeweiligen Chiefs der Modjadji.

Symbolischer Ausdruck für dieses Herrschaftsverhältnis sind die Pfosten, die den khoro, den Platz der Gerichtsbarkeit, umschließen. Jeder Pfosten symbolisiert die Herrschaft eines bestimmten indunas. Die Gerichtsbarkeit wird im khoro von den Räten, den Männern der moshate und den Chiefs ausgeübt. Die oberste und letzte Entscheidungsbefugnis bleibt Modjadji vorbehalten. Machtkämpfe, Krieg und Frieden, Streitfälle - alles wurde im khoro debattiert und entschieden. Um 1960 aber wurde der Gerichtshof vom traditionellen khoro in den modernen Neubau verlegt, und seitdem umgeben den khoro-Platz keine geschnitzen Figuren - hauptsächlich in Form von Frauen, Tieren und Objekten - mehr. Der Platz ist seiner wesentlichsten Funktion entledigt.

Das vom Minister angesprochene Hotelprojekt ist ein Entwicklungsprojekt von Tourismus-Unternehmern, die nahe der moshate auf Lobedugrund einen Hotelkomplex bauen wollen. Dafür würden sie tausend Rand pro Jahr sowie einen Anteil des Profits an die Lobedu entrichten. Bei aller angebrachten, auch unter den Lobedu selbst geäußerten Skepsis gegenüber dem geplanten 500-Betten-Projekt sind die eventuell damit einhergehenden Einkommensmöglichkeiten und die Schaffung von Jobs in einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit nicht zu unterschätzen.

Es gibt Überlegungen in der ANC-Regierung, die Räte/Minister als Ansprechpartner anzuerkennen und zugleich die vorwiegend konservativen Chiefs durch die Zuerkennung eines fixen Gehaltes ins Abseits zu manövrieren. Modjadji und ihre Räte haben den Kolonialismus und die Apartheid überlebt; ob sie auch dem Konsumzeitalter und der Demokratie gewachsen sind, wird die Zukunft zeigen.

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URL: http://www.sadocc.at/sadocc.at/indaba/leseproben/1999-21-regen.shtml
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