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Leseprobe INDABA 20/98 Stabilität und Konflikt im Südlichen AfrikaDie Politiker sprechen von Stabilität, aber die Menschen im Südlichen Afrika brauchen dringend Veränderung. Mit dieser These übte der Friedensforscher John Stewart einen wesentlichen Einfluß auf die Beratungen der EU/SADC-Parlamentarier- und NGO-Konferenz aus. Für Indaba hat der prominente Experte seinen Standpunkt zusammengefaßt. 1994 brachten die ersten freien Wahlen Südafrikas nicht nur Nelson Mandela und den African National Congress an die Regierung, sondern sie veränderten auch die geopolitische Situation im Südlichen Afrika. Politische Beobachter stimmten in der Hoffnung überein, mit der Beendigung der Apartheid - zumindest in politischer Hinsicht - würde auch die jahrzehntelange Überschattung der Region durch Kriege und gewaltsame Konflikte ihr Ende finden. Diese Hoffnungen erwiesen sich allerdings als verfrüht: Die möglich gewordene friedliche wirtschaftliche Entwicklung hat sich nicht konsolidiert, und in vielen Bereichen sind wir nach wie vor mit einer Situation der Instabilität konfrontiert:
In Angola wurde durch die Weigerung der Savimbi-Fraktion in UNITA, am politischen Leben des Landes teilzunehmen, eine neue Runde des Bürgerkriegs ausgelöst. Hier scheint es mir entscheidend, daß die internationale Gemeinschaft ihre Zusage, Savimbi zu isolieren, einhält und ernsthafte Maßnahmen ergreift, um den Schwarzhandel mit Diamanten zu unterbinden und ihm dadurch Zugang zu Finanzen und somit Waffen zu verwehren. Die von der UNO beschlossenen Sanktionen müssen umgesetzt werden. Eine massive Verringerung der Militärausgaben der angolanischen Regierung, die Entwaffnung der Zivilbevölkerung und die Herstellung aller ziviler und politischer Freiheiten in Angola werden nur möglich sein, wenn der - fast schon private - Krieg Savimbis beendet wird. Die Militärinterventionen - sei es jene von Angola, Zimbabwe und Namibia zum Schutz der Regierung Kabila oder jene der Truppen Südafrikas und Botswanas in Lesotho - illustrieren einerseits ein begrüßenswertes Prinzip: Sie dienen der Verteidigung legitimer Regierungen und sind durch die Entscheidung oder zumindest Anerkennung der Regionalorganisation (SADC) legitimiert. Natürlich spielen daneben auch die nationalen Armeen eine Rolle, die für sich höhere Budgetallokationen durchzusetzen und daher ihre Unverzichtbarkeit zu demonstrieren versuchen. Andererseits gibt es aber noch eine viel grundsätzlichere offene Frage: Alle die genannten Konflikte sind auch dadurch bedingt, daß in den einzelnen Ländern politische, soziale oder rechtliche Kanäle zur rechtzeitigen Herbeiführung von gesellschaftlichen Veränderungen blockiert sind: durch monolithische und zumindest de facto monopolistische politische Eliten, durch schwache und ineffiziente Justizsysteme oder durch schlecht organisierte und gespaltene Nichtregierungsorganisationen, die nach Jahrzehnten versorgungsstaatlicher Praxis erst zu lernen haben, sich als Interessensvertretungen ihrer Mitglieder zu verstehen.
Das zentrale Erfordernis für ein Verständnis der sicherheitspolitischen Situation im Südlichen Afrika liegt meiner Ansicht nach nämlich in einem bestimmten Paradoxon: Wir brauchen zwar mehr Stabilität, zugleich aber auch tiefgreifende soziale und politische Veränderungen. Die politischen Systeme haben heute die Gelegenheit, pluralistischer und offener zu werden, mehr Diskussion und Austausch entgegengesetzter Meinungen zuzulassen; die Vorstellung, daß politisch Andersdenkende Feinde seien, muß überwunden werden; die staatliche Strangulierung wirtschaftlicher Potentiale ist ebenso überholt wie die Dominanz der Rohstoffmärkte, die zu einer Verengung der Kontrolle über wirtschaftliche Macht geführt und notwendige Landreformen (wie sie etwa Zimbabwe braucht) aufgeschoben oder verhindert hat; soll es zu einem Wachstum des Industrie- und Dienstleistungssektors und damit zu einer Verbreiterung der nationalen und regionalen Märkte kommen - also zum Gegenteil dessen, was heute vor sich geht -, so erfordert das Veränderungen der Eigentumsverhältnisse (inklusive beim Grundbesitz), und es muß die massive Schuldenlast von den Schultern der Länder im Südlichen Afrika genommen werden.
Zweifellos bestehen weiterhin Anforderungen an die klassische staatliche Ordnungsmacht: etwa das Bedürfnis nach ernsthaften Bemühungen zur Eindämmung des Schwarzhandels mit bzw. Einsammlung und Zerstörung von Kleinwaffen, die sich in den Händen von Zivilisten befinden, nach verbesserter Überwachung und Lizenzierung des Waffentragens überhaupt. Zusätzlich müssen die Erfolge, die der internationale Bann von Landminen erreicht hat, durch beschleunigte Minenräumung konsolidiert werden. Mit vielleicht 10 Millionen Antipersonenminen (ein Stück pro Einwohner) und der weltweit höchsten Rate von minenbedingt Amputierten bleibt Angola weiterhin eines der am stärksten verminten Länder der Welt. Auch das Anliegen, nationale Entminungsanstrengungen verstärkt zu unterstützen und den Prozeß nicht der Kontrolle kommerzieller Überlegungen zu überlassen, sollte ernstgenommen werden.
Meiner Auffassung nach liegt das entscheidende Sicherheitserfordernis also darin, einen notwendigen Prozeß der Veränderungen "sicher" zu machen: Wie kann ein Abblocken solcher Veränderungen zugunsten der verarmten ländlichen Schichten, der Frauen und der städtischen Arbeitslosen verhindert werden? Wie können politische Aufbrüche rechtlich geschützt und stärker in den Verfassungen verankert werden (ein Anliegen der von regierungsunabhängigen Organisationen in Zimbabwe initiierten National Constitutional Assembly)? Wie können die Exekutiven den Parlamenten gegenüber verantwortlicher gemacht werden? Wie kann die Kultur der Straffreiheit für die herrschenden Eliten (sowohl in Bezug auf Gewaltausübung als auch auf Wirtschaftskriminalität) zu Ende gebracht werden? John Stewart, ehemals im süd-rhodesischen Unabhängigkeitskampf tätig und mehrere Jahre in London exiliert, ist heute Mitarbeiter der Catholic Justice and Peace Commission und in einem regionalen Netzwerk von Sicherheitsinitiativen aktiv. Er lebt in Harare, der Hauptstadt Zimbabwes.
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