Leseprobe INDABA 2-3/94

Erlebnis Wahlkampf

Kreisky-Menschenrechtspreisträger Horst Kleinschmidt beschreibt seinen Einsatz vor und während der ersten freien Wahlen in Südafrika.

Für mich persönlich waren die letzten Monate die fesselndsten, anspruchsvollsten meines Lebens. Ich habe nie zuvor so hart und viel gearbeitet. Aber es war großartig, so intensiv in das Geschehen involviert gewesen zu sein, das den Höhepunkt dessen darstellte, was mich und viele andere vor beinahe 30 Jahren in Bewegung gesetzt hat. Es kam mir vor, als wäre dies der letzte Schliff an einem großen Projekt.

Ich bin immer noch Vorsitzender der ANC-Sektion in Pretoria. Unsere Aufgabe war es, die Hausangestellten in diesen Gebieten zu mobilisieren, sicherzustellen, daß sie ihre Identitätsdokumente erhielten und für den ANC wählen würden - eine komplizierte Aufgabe, über die es viele Geschichten zu erzählen gäbe. Fast alle unterstützten den ANC. Wir warben auch um weiße Stimmen; aber wenn man in seinen Ressourcen begrenzt ist, verlagert man das Schwergewicht der Arbeit auf jene Gebiete, wo der Erfolg am vielversprechendsten ist. Im allgemeinen muß ich sagen, daß wir seitens der Rechten kaum mit Intoleranz oder Feindseligkeit konfrontiert waren. Es gab einiges an Vandalismus, durch den unsere Plakate heruntergerissen wurden (möglicherweise auch, um sie als Andenken zu behalten), aber meistens blieben sie hängen.

Während der Vorbereitungszeit der Wahlen sah ein Sonntag ungefähr so aus: Aufstehen um sechs Uhr morgens und Abfahrt in Richtung des früheren Bophutatswana - eine zweistündige Fahrt in Richtung Norden. Dort traf ich mich mit Chiefs und Headmen (unter ihnen zwei Frauen), die zuvor noch nie jemanden vom ANC getroffen hatten. Ihre Bedenken galten den ComTotsies (unter dem Apartheidsystem in Gewalt und Radikalisierung abgeglittene ANC-Jugendliche), die oft in gewalttätiger und krimineller Weise handeln, um sich zu behaupten. Die Führer wollten Rückversicherung vom ANC, daß diese jungen Leute ihnen ihre traditionellen Rechte und Vollmachten nicht streitig machen würden.

Dann ging es weiter, um mit Jugendlichen dieser Gegend zu diskutieren, ihnen den weiteren Kontext der ANC-Politik und die Notwendigkeit, gemeinsam zu agieren, auseinanderzusetzen.- Anschließend zurück nach Pretoria, Waterkloof, das wohlhabendste Wohnviertel. Hinter Sträuchern, geschützt vor den Blicken der weißen Besitzer, trafen sich hier die Hausangestellten regelmäßig an ihren freien Tagen. Sie wollten über den ANC informiert werden. Gemeinsam mit meinem Stellvertreter, der in Süd-Sotho übersetzte, fanden wir zuerst eine kleine Gruppe von Männern vor, die kurz zuvor eine beträchtliche Menge Alkohol konsumiert hatten (für diese Leute gibt es keine Freizeitbeschäftigung, das ist ihr Leben - jahraus, jahrein). Eine Weile später kamen die Frauen, ordentlich gekleidete Hausangestellte. Sie setzten sich auf die andere Seite und geboten den Männern, uns nicht ständig zu unterbrechen.

Wir waren sehr bemüht, uns Gehör zu verschaffen, aber schließlich schlugen wir vor, den Wahlablauf zu proben. Alle stellten sich an und warteten geduldig, während wir alte Kartonschachteln zusammentrugen um damit jede einzelne Station im Wahlablauf zu kennzeichnen. Die erste Station zur Prüfung von Resten unsichtbarer Tinte von möglichen vorangegangenen Wahlen, eine andere zur Markierung der Finger mit unsichtbarer Tinte, eine dritte zur Überprüfung der Identität, eine weitere zur Ausgabe der Wahlzettel und eine letzte Station, wo schließlich gewählt wurde. Nachdem die Stimmzettel abgegeben worden waren, wurde die gesamte Prozedur für die Regionalwahlen wiederholt. Geduldig nahmen 150 Personen an dieser Übung teil.

Von dort ging es weiter zum St John Vianey Catholic Seminar, wo eine Gruppe von Studenten eine anspruchsvollere Diskussion über die ANC-Politik erwartete. Themen von Landverteilung bis zur Abtreibung wurden erörtert.

Am Wahltag selbst arbeitete ich als "Deputy Party Agent" in einigen Wahlstationen in der konservativsten Gegend Pretorias: Voortrekker Hoogte, Vahalla, Eldoraigne, Erasmia u.a., alle eng verbunden mit dem Militärapparat. Ich war anwesend, als General Viljoen und seine 40 Generäle ihre Stimme abgaben (Viljoen hatte sich kurz vor den Wahlen von der rechtsextremen Conservative Party getrennt zur Gründung einer eigenen konservativen Partei, die die Wahlen nicht boykottierte). Das Militär bildete einen ungeheuren Sicherheitscordon um das Gebiet. Es  kam zu keinen Zwischenfällen, trotzdem fühlte ich mich verpflichtet, die Sache mit dem vorstehenden Beamten zu klären: diese militärische Machtdemonstration zielte darauf ab, mögliche schwarze Wähler einzuschüchtern. Das war Voortrekker Hoogte.

In Erasmia leben vorwiegend arme Weiße, viele von ihnen arbeitslos. Eine kleine Gruppe von ANC-Funktionären des nahegelegenen indischen Township Laudium organisierten das Geschehen dort. Sie leisteten hervorragende Arbeit bei der Sicherstellung eines geregelten Wahlablaufes. Das verlangt sehr viel Mut in einer solchen Gegend. Noch mehr Courage zeigten die schwarzen Arbeiter aus den umliegenden Ländereien. Während des Wahlkampfes blieb uns der Zugang zu ihnen verwehrt, da die Landbesitzer alle ANC-Besuche als Besitzstörung ahndeten. Jedoch, am Morgen des Wahltages wartete eine kilometerlange Schlange von Wählern, Weiße und Schwarze gemeinsam. Niemand beschwerte sich, alles funktionierte. Was versuchte das Apartheidsystem all die Jahre so eifrig zu verteidigen, wenn es plötzlich möglich war zusammenzukommen, wie es hier geschah.

Im Wahllokal erzählte mir ein NP-Beamter, daß er Leute in der Warteschlange wiedererkannte, die ihn während der Wahlkampagne hinausgeworfen und ihre Loyalität zu Hartzenberg und Terreblanche (Conservative Party und Afrikaner Weerstandsbeweging - beide boykottierten die Wahlen) bekundet hatten. Die Tatsache, daß sie nun zur Wahl kamen, war bezeichnend, auch wenn sie Viljoen wählten. Ein weiterer Schritt in Richtung Demokratie!

In verschiedenen Wahllokalen, wo ich mich als ANC-Funktionär vorstellte (und ich tat das in Afrikaans, wenn ich Weiße traf) fand ich es bemerkenswert, wie viele von ihnen noch nie persönlich mit ANC-Anhängern zusammengetroffen waren. Am Wahltag selbst führte ich einige Diskussionen mit Weißen, die die Zukunft fürchteten, die aber gleichzeitig das Bedürfnis hatten, über das Unrecht der Apartheid und ihre Schuld zu sprechen. Das war eine neue Erfahrung für mich.

Eine ältere Dame, die eine Wahlstation betreute, erzählte mir, daß sie und ihr Mann nie mit dem übereinstimmen konnten, was Beyers Naude gesagt und getan hatte, aber daß sich heute alles bewahrheitet hätte. Sie bat mich, Beyers zu danken und brach dann in Tränen aus - vor all den anderen Parteibeobachtern...

(Übersetzung: Jutta Neuninger)

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